Kulturindustrie (Adorno)
Der Begriff Kulturindustrie beschreibt einen Kernbereich der Arbeiten Adornos. Dieser Begriff der Kulturindustrie tritt zum ersten Mal in der "Dialektik der Aufklärung" auf. Mit dieser ist die frühe Periode der "Kritischen Theorie" beendet. Mit Kulturindustrie meint Adorno die gesellschaftliche Implikation von kulturellen Ereignissen und Erzeugnissen. Adorno erhoffte, aus den Thesen zur Kulturindustrie eine Antwort auf die Frage zu finden, weshalb die antagonistische, also in sich widersprüchliche, kapitalistische Gesellschaft, so stabil ist. Dieser soziale Kitt, wie ihn Erich Fromm nannte, sollte die Kulturindustrie sein, welche als Mittel von Herrschaft und Integration agiert. Diese Integration durch die Kulturindustrie beruht auch auf der Feststellung, dass die Produktion immer auch den Konsum reguliert. Dies sieht er im Geistigen wie im Materiellen, zumal die Kulturindustrie an sich schon starke materielle Tendenzen aufzeigt.
Eine frühe Definition der Kulturindustrie nach Adorno/Horkheimer ist die "willentliche Integration ihrer Abnehmer von oben".
Table of contents |
2 Das Publikum 3 Wechselwirkung: Subjekt <-> Massenkonsumgüter 4 Einfluss der Ideologie, die Kulturindustrie affirmiert, auf die Gesellschaft |
Adorno bezieht sich bei der Analyse von Kulturprodukten im wesentlichen auf zwei grundsätzliche Methoden der Warenbetrachtung:
Warencharakter von Kulturprodukten
Zum ersten Punkt sei folgendes erläutert: In der Nützlichkeit eines Gegenstands, ein menschliches Bedürfnis zu stillen, ist laut Marx der Gebrauchswert bestimmt: "Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert". Der Gebrauchswert ist also dem Gegenstand immanent, während der Tauschwert erst durch den Austausch des Produkts unter den Personen entsteht: in diesem Moment ist das Produkt zur Ware geworden. Marx sagt auch, der Austausch - und so der Tauschwert - sind konstitutiv dafür, dass ein Gegenstand eine "Ware" ist. Der Kapitalismus, nach Marx, legt es im wesentlichen auf "Tauschwertproduktion" an, werden seine Produkte doch von vornherein dazu produziert, getauscht zu werden.
Das "authentische Kunstwerk", das im zweiten Punkt benannt wurde, gilt der Kulturware als Kontrast. Mit diesen zwei Methoden unterzieht Adorno die Kulturindustrie einer kritischen Analyse. Adorno teilt die Analyse in zwei Abschnitte, um den Unterschied der Kultur vor und während der einsetzenden Kulturindustrie darzustellen. Adorno tat dies wie folgt :
- bürgerlich- liberales Zeitalter - Spätkapitalismus -- Kunst und Kultur stehen für Emanzipation -- Von Kunst und Kultur ging ein kritischer Impuls aus --- Kunst und Kultur waren widerständig in ihren Haltungen gegenüber machtvollen Gegnern -- Kunst und Kultur waren relativ autonom -- Kunst und Kultur vermochten es sich über die gesellschaftliche Realität hinaus zu entwickeln und so Veränderungsideen zu entwickeln- Durch die Kulturindustrie hat sich der Gehalt von Kultur verändert -- Der autonome Charakter der Kultur hat sich großenteils aufgelöst - Die Kulturwelt teilt sich in 2 Teile: -- Großer Bereich kulturindustrieller Waren -- Kleiner Bereich authentischer, verbliebener bürgerlicher Kunst - Kulturindustrielle Werke treten daher als Erben der bürgerlichen Kultur an die Stelle dieser als nunmehr "wahrhaftige" Kunst
Im bürgerlich-liberalen Zeitalter musste laut Adorno Kunst als eine zwar stets elitäre angesehen werden - in der Dialektik der Aufklärung spricht Adorno von der bürgerlichen Kunst, die von Anbeginn mit dem Ausschluss der Unterklasse erkauft wurde. Sie orientierte sich jedoch immer am kollektiven Gemeinwohl, und war diesem zuträglich. Ihre Impulse waren es, die eine Fortentwicklung der Gesellschaft ermöglicht haben. Ab dem Zeitalter des Spätkapitalismus veränderte sich diese Aufgabe als Motor der Gesellschaft. Von einer Kunst, die laut Adorno ihren Wert vor allem in sich - einen Gebrauchswert in der Hinsicht, dass das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit erfüllt wird - hin zu einem Produkt des Marktes, dessen Wert daraus sich ergibt, wie häufig es getauscht wird. Diese Kunst hat ihren autonomen Charakter verloren, indem sie sich als Mittel zum Zweck (der Generierung von Kapital) hat abstempeln lassen. Für das Erreichen eben dieses Zwecks hat die Kulturindustrie, an welche die Autonomie der Kunst verloren ging, ein mittlerweile globales Netzwerk geschaffen. Dieses besteht in seiner Grundstruktur aus der Kulturproduktion, welche Kulturwaren produziert: eben den Kulturwaren, die überall auf der Welt verteilt werden. Zweitens schafft sie den Kulturmarkt, der als Bindglied zwischen den Waren und den Konsumenten agiert, welche schließlich das vierte Bindeglied dieses Strukturnetzwerks darstellen:
Mit dem Aufkommen der Industrialisierung, dem Erweitern der Kommunikationsmöglichkeiten und dem Auftreten von ersten überregionalen Zeitungen war Situation des Kulturbetriebs eine neue. Ohne diese Situation wäre eine Kulturindustrie nicht möglich gewesen. Jedes Kulturprodukt, darunter die Massenmedien im besonderen, ist laut Adorno der Kulturindustrie ausgeliefert - und umgekehrt. Industrie und Produkt sind immer in einem derartigen Maße miteinander verknüpft, sodass sie als Eines gesehen werden können. Medien, wie alle Kulturprodukte, sind auch ein Produkt der Kulturindustrie. Kulturprodukte der Kulturindustrie richten sich also, so Adorno, nicht nach dem eigenen Gehalt und stimmigen Gestaltung, sondern vielmehr nach der Verwertung. Die gesamte Praxis der Kulturindustrie überträgt das Profitmotiv blank auf das geistige Gebilde. [...] Geistige Gebilde kulturindustriellen Stils seien, so Adorno resümierend, nicht länger auch Waren, sondern sind sie seien es durch und durch.
Aus dem im vorangegangen Kapitel beschriebenen Warendasein ergibt es sich, dass die Ware Kultur auch als solche ihre Konsumenten finden muss. Waren finden dann ihren Konsumenten, wenn dieser in ihnen einen Nutzen sieht - oder glaubt, in ihnen einen Nutzen zu sehen. Das Streben aus der Situation des Künstlers oder des Apparates, der ihn umgibt, heraus, einen Abnehmer zu erreichen, führt zu einer Anpassung an diesen Abnehmer. Dadurch wiederum verliert die Kultur die Funktion des kritischen Moments der Gesellschaft und wird zu einem Integrativen. Das Publikum agiert aber in diesem Austauschprozess nicht fordernd, sondern lässt sich sozusagen bedienen von der Kultur. Kultur, so Adorno, fällt in den Lebensbereich der Freizeit. Freizeit aber ist nur die regenerative Phase, die der Arbeitsphase Untertan ist. Als regenerative Phase soll sie also möglichst wenig Energie in Anspruch nehmen. Dafür versucht die Kultur schon sich selbst anzuleiten.
Eine Manipulation, das stand für Adorno fest, geht von der Kulturindustrie aus. Diese aber ist keineswegs eine beabsichtigte, noch eine kontrollierte und in eine Richtung strebende; vielmehr schleicht diese Manipulation leise voran. Nichtsdestotrotz höhlt dieses tropfende Wasser auf den Stein der Gesellschaft diesen mit Sicherheit aus. Diesen manipulativen Effekt konstatiert Adorno an zwei Momenten:
"Wir (er bezieht sich auf sich selbst und Horkheimer, NSM) ersetzen den Ausdruck (Massenkultur, NSM) durch "Kulturindustrie", um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: dass es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst".
Diese Eliten sind jedoch nicht dahingehend gesinnt, die Kultur, ihres kritischen Einflusses wegen, zu beherrschen und sie in die Trivialität zu treiben, sondern sie sind Akteure des Kapitalismus, der durch die Struktur seiner selbst "versucht", alles zur Ware zu machen.
Damit, dass Kultur zur Ware degeneriert wurde, muss der, welcher in seiner Freizeit die Kultur in Anspruch nehmen will, also Konsument, rechnen. Der Konsument wiederum muss von der Industrie mit dem bedient werden, was er will, was er versteht, was ihn nicht verwirrt, mit eingängigen Melodien, einfach gestrickten Krimis und Filmen, bei denen man von Anfang an weiß, wer am Ende lachen wird. Genau dies ist nun die Wechselwirkung zwischen dem Subjekt und der Kulturindustrie. Dieser Kreislauf, oben schon häufig und immer wieder beschrieben, ist der Teufelskreis, aus dem der Ausweg nicht gefunden wurde, und aus dem ein Ausweg möglicherweise gar nicht existiert.
Die Folgen der Kulturindustrie auf die geistige Haltung der Gesellschaft sind nicht nur die geistige Stagnation, es sind vielfältige andere. Man kann diese unterteilen in:
"Der Opernbesuch verkommt zum gesellschaftlichen Ereignis; der Tauschwert einer Premiere besteht in Sehen und Gesehen werden. [...] Es (das Werk, die Oper NSM) ist nur noch Anlass eines Events."
Nicht also der Inhalt der Oper, den, sollte sie ein klassisches, nicht kulturindustrielles Produkt sein, kaum jemand versteht zählt, sondern die Präsenz und das Geschwätz nebenbei.
Gedacht wird nicht mehr, was der Künstler mit der Oper zeigen wollte; gedacht wird, wie dieses Stück auf die Öffentlichkeit wirkt, wie das Wissen um dieses Stück die subjektive gesellschaftliche Stellung beeinflusst; gedacht wird, was das Auftreten, das Teilnehmen an diesem Event einem nützen könnte; gedacht wird, was der andere denkt. Auch dieses ist ein Zeichen dafür, dass Autonomität verloren ging. Adorno spitzt dies zu, indem er schreibt, einst durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt wäre dies möglich, aber man könne nicht mehr, weil man nur noch denken wolle, was man wollen solle, und eben das würde als Freiheit empfunden.Das Publikum
Wechselwirkung: Subjekt <-> Massenkonsumgüter
Damit wird aber auch klar: Es handelt sich bei der Kulturindustrie um eine von Eliten geführte Kulturprägung und nicht um das, was der Vorgängerbegriff Massenkultur aussagen kann, es handelt sich nicht um eine Kultur der Massen, nicht um eine Volkskultur. Adorno schreibt dies auch in "Kulturkritik und Gesellschaft":Einfluss der Ideologie, die Kulturindustrie affirmiert, auf die Gesellschaft
Die Kulturindustrie ist also auch, bildet sie wie in 2. aufgeführt, die Fähigkeit zurück, kritisch zu denken, ist also herrschaftsstabilisierend. Und diese Herrschaftsstabilisierung ist nicht ein Mitläufer der Wirkungen der Kulturindustrie, sondern das Wesen der Kulturindustrie. Sie suggeriert ihre Gedanken dem Publikum, den Konsumenten, ein. Die Kulturindustrie erreicht mit dieser Suggestivkraft, dass sie selbst den Menschen die Maßstäbe definiert, nach denen diese die Kulturindustrie bemessen sollen. Adorno bringt dazu in der Minima Moralia ein treffendes Beispiel:
Dies ist der Verblendungszusammenhang, den Adorno immer wieder konstatiert, und der im höchsten Sinne undemokratisch ist. Wer würde erlauben, dass der welcher ein Gesetz bricht, sich selbst das Gesetz schafft, das zur Bemessung seiner Schuld heranzuziehen ist?
Neben dem herrschaftsstabilisierenden Moment ist der Kulturindustrie auch noch etwas anderes immanent: Die Ablenkung der Menschen vom Wesentlichen(dem Kulturobjekt) hin zum Sekundären. Adorno konstatiert, dass "anstelle des Genusses ein Dabeisein und Bescheidwissen" tritt. Thomas Gebur gibt dazu folgendes Beispiel: