Kulturgeschichte der Kartoffel
Die spanischen Entdecker und Eroberer fanden in der Neuen Welt zahlreiche ihnen bisher unbekannte Früchte, die heute ein selbstverständlicher Teil unserer Ernährung sind. Doch keine dieser neuen Früchte sollte für Europa eine ähnliche Bedeutung erlangen wie die unscheinbare Kartoffel.
Die Spanier lernten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts von den Inkas die neue Frucht Patata kennen - der englische Name Potatoes erinnert uns noch daran. Der deutsche Name Kartoffel erinnert eher an Trüffel, italienisch tartufolo, mit denen sie am Anfang verglichen wurden. Den französischen Ausdruck pommes de terre hat man als Erdäpfel übersetzt. Die Kartoffel jedoch hat in jedem Dialekt und in jedem Landstrich noch zahlreiche andere Namen, die oft fast wie Liebkosungen klingen, zum Beispiel Erdbirnen.
In den Anden Südamerikas kultivierten die heimischen Völker Kartoffeln in zahlreichen Sorten bereits seit Jahrhunderten. Die Termine der meisten religiösen Feste der Inkas entsprachen im Kalender den Pflanz- und Erntezeitpunkten dieser Erdfrucht. Die angebauten Sorten waren bereits hoch entwickelt, den verschiedensten Anbaulagen und unterschiedlichen Verwendungszwecken angepaßt und weit entfernt von den Urformen, wie sie von der Natur hervorgebracht wurden.
In den kargen Bergen war die Patata die Hauptnahrung der Einheimischen.
In Peru läßt sich die Kartoffel bis zu viertausend Meter Höhe anbauen, dort wo Mais nicht mehr gedeihen kann.
Die Europäer fanden Geschmack an dieser Frucht und besorgten sich größere Mengen als Proviant für die Heimreise. Zu Hause angekommen, war diese Novität zuerst einmal eine botanische Rarität, die als Topfpflanze die Gärten von Geistlichen, Fürsten und Gelehrten schmückte, zu kostbar um sie dem Koch zu überlassen. Das Verkosten der oberirdischen Früchte endete oft mit Bauchschmerzen oder Vergiftungserscheinungen, und so entstanden bald zahlreiche Vorurteile gegenüber dieser schön blühenden Pflanze aus Übersee.
Es gibt viele auch widersprüchliche Geschichten und Anekdoten, wie die Kartoffel in Europa zur Agrarfrucht wurde. Sicher ist nur, dass es zwei Hauptausbreitungswege gab, einen über Irland, England und die Niederlande und einen über Portugal, Spanien, Frankreich und Italien. Die zeitgenössischen Berichte sind leider sehr ungenau, wurde doch die Kartoffel von damaligen Berichterstattern allzu oft mit Yamswurzel, Süßkartoffel, Topinambur und Maniok verwechselt.
Diese Bodenfrüchte haben zwar ein wenig Formähnlichkeit, sind aber biologisch nicht miteinander verwandt.
Es dauerte einige Generationen, bis aus der botanischen Kostbarkeit eine Hauptnahrungsquelle der breiten Bevölkerung in Europa wurde. Viele Vorurteile und traditionsbedingte Hemmnisse standen ihr zu Beginn im Weg. In Irland wurden Kartoffeln allerdings schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts angebaut, da sie die ideale Frucht für diese karge Insel zu sein schienen. Ausbringung und Ernte war auch ohne besondere Werkzeuge möglich, Wild und weidendes Vieh pflegte dem Kartoffelkraut keinen Schaden anzurichten und man konnte auch auf schlechten und steinigen Böden und in steilen Hanglagen Kartoffeln anbauen. Der wichtigste Vorteil war der anderthalbfache Flächenertrag im Vergleich zum Anbau von Getreide. Zum Schluss war auch die häusliche Zubereitung viel einfacher als beim Getreide: Kartoffeln muss man weder dreschen, noch mahlen, noch zu Brot backen. An dem bescheidenen TorfFeuer, das die Hütten wärmte, wurden auch Kartoffeln gar gekocht. Irland war damals eine englische Kolonie, die Vieh und Getreide ins Mutterland exportieren musste. Die Kartoffeln blieben den Bauern oft als die einzige Ernährungsquelle. Die irische Insel war vom übrigen Europa weit entfernt und isoliert, so dauerte es noch ein weiteres Jahrhundert, bis Fürsten und Könige auf dem Kontinent die botanische Rarität aus ihren Gärten ihren Untertanen für den Anbau weiter gaben.
In Preußen sorgte Friedrich der Große mit allen Mitteln für den großflächigen Anbau der Kartoffel. Es wird erzählt, er hätte die ersten Kartoffelfelder von Soldaten bewachen lassen, damit die Bauern von der Kostbarkeit dieser Frucht überzeugt würden, denn auch in Preußen galt schon damals: Was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht. Die schlauen Bauern hätten dann, ganz im Sinne des Königs, diese Erdäpfel hinter dem Rücken der Soldaten geklaut und gekostet und schließlich selbst angebaut. Jedenfalls machte der preußische König die Kartoffel so nicht nur hoffähig, sondern sorgte auch für ihre Popularität im Volk.
Seine Propagandafeldzüge für die Kartoffeln sind kaum weniger bekannt als seine Kriegszüge. In beiden Fällen spielte die Armee eine wichtige Rolle. Das brachte dem Feldherrn viel Bewunderung, der Kartoffel aber neue Vorurteile. So werden Kartoffeln bis heute mancherorts als die Speise der Bauern und der Armen verspottet.
Auch in die Schweiz kam die Kartoffel wegen ihrer Blütenpracht zuerst als seltene Topfpflanze. Erst einhundert Jahre später, am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, wurde sie als Speisekartoffel angebaut. Die Anbaubedingungen waren ähnlich wie im Ursprungsland Peru. Die Kartoffel wurde allerdings nicht bis in viertausend Meter Höhe wie in den südamerikanischen Anden angepflanzt, sondern höchstens bis zweitausend Meter knapp über die Waldgrenze. Kartoffeln wurden dann auch in der Schweiz rasch zur beliebten Volksspeise: als Rösti erlangten sie Weltruhm, und wenn ein Eidgenosse heute in der Ferne mal von Heimweh geplagt wird, träumt er meist von seiner Bratwurst und dem Rösti seiner Mama als Synonym für das Zuhause.
Die Einführung der Kartoffel in Europa blieb nicht ohne Schattenseiten. Als Hauptnahrungsquelle des Volkes verbesserte sie zwar die Ernährungsmöglichkeiten in Europa für die Landbevölkerung zunächst stark und ließ indirekt nach der Katastrophe des dreißigjährigen Krieges und nach zahlreichen Seuchen die Bevölkerungszahl wieder wachsen.
Für breite Bevölkerungsschichten wurde die Kartoffel allerdings zur praktisch einzigen Ernährungsgrundlage, am deutlichsten in Irland. Wenn die Kartoffelernte gering war, stiegen die Getreide- und Brotpreisee und die Menschen mußten hungern. Dies geschah lokal häufiger, meist als Folge von Schlechtwetterperioden, wegen Trockenheit oder zu viel Regen.
Als dann am Anfang des 19. Jahrhunderts aus Amerika auch Kartoffelkrankheiten eingeschleppt wurden, waren die Kartoffelmonokulturen schutzlos. Eine Missernte folgte der anderen und verursachte Hunger beim Großteil des Volkes. Viele Millionen Menschen verhungerten in Europa, besonders in Irland, wo die Abhängigkeit von der Kartoffel besonders groß war, zumal dieses Land von seinen Exporterlösen für Getreide finanziell abhängig war. Hier starben innerhalb 2 Jahren über eine Million Menschen an Hunger. Sie hätten sich auch das Brot nicht kaufen können, denn die Meisten sahen ihr Leben lang kein Bargeld. Wer es sich irgendwie leisten konnte, wanderte somit - meist in die USA - aus.
Das Bild von Vincent van Gogh: Die Kartoffelesser ist weltbekannt. Wenn ein Maler das Leben der Armen abbilden wollte, wenn ein Schriftsteller eine bäuerliche Familie schilderte, waren ab dem 19. Jahrhundert Kartoffeln ein beliebtes Thema, um das einfache Leben zu beschreiben. Zahlreiche Sprüche um die Kartoffel werden bis heute tradiert: Die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln, Kartoffelessen macht dumm, Jetzt mußt Du eine Zeit lang Kartoffeln essen (jetzt mußt Du ganz sparsam leben).
Für die aufkommende Industrialisierung in England und später dann auch auf dem europäischen Kontinent war die Ernährung der zunehmenden städtischen Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Im Gegensatz dazu konnte die Landbevölkerung den größten Teil ihrer Nahrung selber produzieren. Selbst Landlose hatten mindestens einen Pflanzplatz, einen Minigarten, um wenigstens das Gemüse nicht kaufen zu müssen. Für das Stadtproletariat waren Obst und Gemüse praktisch unerreichbar. Gerade die Hauptnahrung Kartoffel lieferte neben den notwendigen Kalorien auch Spurenelemente und Vitamine, wie es wohl keine anderes Hauptnahrungsmittel hätte tun können. In der Schweiz fand die Industrialisierung zuerst vor allem im ländlichen Raum statt. Auch hier hatten die meisten Arbeiterfamilien neben ihren Kosthäusern noch Gemüse und vor allem Kartoffeln angebaut.
Als auch in der Schweiz die Städte wuchsen, war die städtische Arbeiterschaft viel schlechter ernährt als die ländliche. Die ersten städtischen Sozialsiedlungen sorgten für Pünt oder Schrebergärten, wo die Familie ihr Gemüse, vor allem Kohl und Kartoffeln, selber züchten konnte. Zahlreiche Reformer empfahlen die Gartenarbeit für den Arbeiter als eine Erholung. In der Kolonie Monte Veritas oberhalb Ascona bauten um die Jahrhundertwende selbst wohlhabende Städter barfuß, ja sogar nackt in der Sonne ihre Kartoffeln und ihr Gemüse an, um sich mit der Mutter Erde wieder zu versöhnen und ihren Körper und Geist zu heilen.
Nicht nur in Irland, überall in Europa nahm die Bevölkerung dank verbesserter Ernährung im neunzehnten Jahrhundert rasch zu. Bald haben aber auch die gesteigerten Erträge nicht ausgereicht, um alle zu ernähren. Wer dem Hunger entging und die Überfahrt im Zwischendeck bezahlen konnte, wanderte aus. Die Ostküste der USA war am nächsten. Viele Schiffe die nach Boston oder New York unterwegs waren, machten noch Halt auf der Irischen Insel. Die Armen konnten jedoch nicht bezahlen, weshalb ganz clevere Kapitäne, Schiffseigner oder Agenten mit ihnen ein besonderes Geschäft machten: Sie beförderten die Auswanderer auf Kredit. In der Neuen Welt angekommen, verkauften sie ihre menschliche Fracht an Subunternehmer, für die die Auswanderer, die dem Hunger entkommen waren und die Überfahrt überlebt hatten, jetzt bis zu zwanzig Jahre gratis arbeiten mussten. Auch ihre Kinder mussten arbeiten, besonders dann, wenn die Eltern starben. Die Sklaverei war noch nicht abgeschafft worden und die alte Tradition der Sklavenschiffe hat so auch eine neue Form genommen. An der Ostküste der USA setzte sich die Welle fort, der Westen des Kontinentes wurde jetzt ins Visier genommen: "Go West Young Man!". Die Grundlage für viele Wildwestgeschichtengeschichten und unsere Cowboy- und Indianerfilme bis heute wurde damals gelegt. So hat ein Geschenk aus der Neuen Welt und seiner Folgen in der Alten Welt geholfen, drei Jahrhunderte später die Indianerkultur Nordamerikas endgültig zu zerstören.
Die Kartoffel ist ein Nachtschattengewächs, was aber nichts mit Dunkelheit zu tun hat, sie liebt das Licht. Sie ist mit Tomate, Paprika und mit der Tabakpflanze verwandt, jedoch nicht mit der Süßkartoffel.
Ihre Samen bildet sie in einer tomatenähnlichen Frucht, die für Menschen ungenießbar ist. Neben der geschlechtlichen Vermehrung durch Samen verbreitet sie sich durch ihre unterirdischen Knollen (die Kartoffeln) vegetativ.
Außerhalb tropischer, arktischer und subarktischer Klimazonen wird die Kartoffel heute weltweit angebaut. Nachdem sich ihre Kultur in Europa durchgesetzt hatte, brachten sie Europäer überall hin mit, wo sie später Fuß fassten. Im Supermarkt werden heute Kartoffeln aus Sizilien, von den Kanarischen Inseln oder aus Südafrika angeboten. Auf Teneriffa oder auf Madeira wachsen Kartoffeln unter Palmen und neben Bananengärten. Dort ist eine Ernte zweimal im Jahr möglich, der Export erfolgt vornehmlich in die Staaten der EU. Aus Gründen des Ertrags werden Kartoffeln im Alpenraum nur noch selten bis auf zweitausend Meter Höhe angebaut, doch manchmal kann ein Bergwanderer neben einer Almhütte noch einen Pflanzplatz sehen, der mit ein paar Zeilen Kohl und Kartoffelstauden der Selbstversorgung des Senns dient.
Die anspruchslose Bodenfrucht, die früher praktisch überall gedeihen konnte, ist heute nicht mehr die gleiche. In der modernen mechanisierten Landwirtschaft wird auch die Kartoffel am liebsten auf großen, zusammenhängenden, nicht all zu steilen Ackern angebaut. Die großen schweren (und teueren) Maschinen, die im Frühjahr Kartoffeln stecken, das Feld immer wieder umgraben und im Herbst die Knollen aus der Erde ernten, haben auf kleinen, steilen, steinigen Bergparzellen keine Chance. Die Inkas bauten ihre Kartoffeln dort an, wo Mais nicht mehr wuchs, bei uns wachsen Mais und Kartoffeln heute, im Mittelland und im Voralpengebiet nebeneinander.
Kartoffeln sind frostempfindlich, sie dürfen erst gepflanzt werden, wenn im Frühjahr kein Frost mehr droht. Nicht aus Samen sondern aus Saatkartoffeln, aus besonders gepflegten und ausgesuchten Knollen, werden neue Pflanzen gezogen. Nur zur Kreuzungszwecken werden die neuen Sorten aus Samen gezüchtet. Die aus der Knolle entstandene Tochterpflanze ist ein Klon, sie ist also mit der Mutter genetisch identisch. Das macht die Sorte stabil, verhindert aber genetische Anpassung an die Umwelt. Ohne sorgfältige Saatzucht könnten schnell Ernteausfälle die Folge von veränderten klimatischen Bedingungen oder anderen Umweltfaktoren sein.
Fast-Food-Ketten lassen bestimmte Sorten anbauen, weil die daraus erzeugten Pommes Frites eine (weltweit) charakteristische Farbe haben. Diese gedeihen aber nicht überall gleich gut und benötigen hierzulande einen größeren Aufwand im Anbau und bei der Lagerung.
Ganz so pflegeleicht ist die bescheidene Kartoffel nicht: Sie muss mehrmals im Jahr vom Unkraut befreit werden, und braucht viel Licht und lange Tage, damit sich viel Grünkraut bilden kann. Die Pflanze speichert Nährstoffe, die sie durch Photosynthese aus Kohlenstoff und Stickstoff aus der Luft gewinnt, in der unterirdischen Frucht. Die Knollen dürfen kein Licht sehen, sonst werden sie grün und giftig wie der ganze grüne Teil der Pflanze. Mehrmals im Jahr muss daher die Pflanzenwurzel mit mehr Erde zugeschüttet werden. Das schützt den Wurzelraum auch vor zu viel Feuchtigkeit, was Fäulnis zur Folge hätte. Was früher anstrengende Arbeit mit der Hacke war (daher auch der Name Hackfrucht), das besorgen heute Maschinen.
Am Anfang fand in der Alten Welt die neue Frucht aus Übersee nur wenig Schädlinge und Krankheiten. Das änderte sich jedoch spätesten am Anfang des achtzehnten Jahrhunderts gründlich.
Die Fressfeinde und Kartoffelkrankheiten kamen ebenfalls aus Amerika.
Noch in den sechziger Jahren sah man ganze Schulklassen den aus den USA stammenden Kartoffelkäfer von Hand sammeln.
Gegen Schädlinge, Pilze und auch gegen Unkraut setzen viele Landwirte heute großzügig Spritzmittel ein. Selbst vor der Ernte wird der Kartoffelacker oft noch zweimal gründlich mit Herbiziden bespritzt, um das oberirdische Grün schnell welken zu lassen, damit es den Erntemaschinen nicht im Wege steht. Erst langsam entwickelt man alternative Methoden, um vor der Ernte das Kartoffelkraut mechanisch zu entfernen.
Alternativ, biologisch gezüchtete Kartoffeln bringen ca. ein Drittel weniger Erträge, brauchen jedoch zusätzlich einen um ca. einen Drittel höheren Arbeitsaufwand.
Dem stehen auf dem Markt etwa doppelte Verkaufspreise gegenüber, so dass sich diese Anbauform für Landwirte lohnen kann, die den Mehraufwand auf sich nehmen wollen.
Wir kennen heute vier Gruppen von sehr frühen Sorten, die bereits im Juni auf den Markt kommen, bis zu sehr späten Sorten, die erst Ende September geerntet werden. Heute wird in Europa meisten mit großen Erntemaschinen geerntet. Dazu muss die Krautschicht chemisch oder mechanisch beseitigt werden. Der Mensch greift bei der komplexenen Vollerntemaschine nur kontrollierend ein. In einem zweitem Arbeitsgang werden die Früchte noch gründlich sortiert, was noch nicht ganz ohne Menschenhand und ohne das menschliche Auge möglich ist. Wichtig ist, alle angeschnitten und verletzten Knollen zu entfernen, auch alle mit Fäulnisflecken oder Grünstellen.
Kartoffeln wollen dunkel, trocken und kühl gelagert werden. Die traditionellen Kartoffelkeller reichen unseren Qualitätsansprüchen heute kaum noch. Die Lagerräume müssen oft klimatisiert werden, zusätzlich wird oft auch die Luftzusammensetzung künstlich beeinflusst, um vorzeitiges Keimen zu verhindern. Außerhalb Großbritanniens, Deutschlands und Österreich werden Kartoffeln oft und immer häufiger zusätzlich mit radioaktiven Strahlen haltbar gemacht. Sie werden dabei nicht radioaktiv. Allerdings verändern die meisten Lebensmittel bei nicht exakter Einhaltung der Bestrahlungsmenge ihre Eigenschaften so gründlich, dass man kaum von einer harmlosen Behandlung reden kann. Bedenklich für den Verbraucher ist, dass es bis heute noch keine Deklarationspflicht für derart behandelte Lebensmittel gibt. Die Kartoffel enthält viel Wasser, braucht also relativ viel Raum, verträgt keinen Frost und keine Nässe. Gewaschene Kartoffeln sind nicht mehr lagerfähig. Auch sollte die Luft nicht zu trocken sein, sonst verliert die Frucht Gewicht und Form. Die ideale Temperatur wäre knapp unter 4 °C mit ca. 55 % Luftfeuchtigkeit. Einzelne Boxen sind besser kontrollierbar als große Halden, sonst kann eine einzige faule Knolle Tonnen anstecken und vernichten. Unsere modernen Wohnhauskeller sind meistens zu warm, um über längere Zeit Kartoffeln zu lagern.
Heute werden Konsumkartoffeln nicht mehr in Säcken sondern in großen Standardboxen transportiert. Diese sind leichter mechanisch zu bewegen, und die Früchte werden weniger verletzt. Industriekartoffeln werden hingegen lose als Schüttgut bewegt. Unsere Verteiler werden heute aus der ganzen Welt versorgt, billige Importe haben meist lange und teuere Lagerung ersetzt.
In der Saison werden Kartoffeln jedoch meistens von umliegenden Bauernhöfen angeboten. Wer es unbedingt wissen will, wo sein Rösti groß geworden ist, kann fast überall direkt am Bauernhof einkaufen.
Nur weniger als ein Viertel der Kartoffelernte kommt bei uns noch auf den Teller. Ein Viertel wird zu Stärke und Alkohol verarbeitet, ca. zehn Prozent landen als Saatkartoffeln wieder in der Erde, ca. vierzig Prozent landet im Futtertrog der Masttiere. Für ein Kilo Schweinebraten muss man gut zwanzig Kilo Kartoffeln verfüttern. Der Spruch: "Ich esse Kartoffeln am liebsten als Schweinebraten." illustriert die Haltung einer großen Verbrauchergruppe. Seit Ende das zweiten Weltkrieges werden immer weniger Kartoffeln gegessen, der Verbrauch hat sich mehr als halbiert. Billige Futterimporte, besonders von Soja, machen auch der Kartoffel als Saufutter starke Konkurrenz. Die Nahrungsmittelindustrie versucht immer mehr Fertigprodukte aus Kartoffeln auf den Markt zu bringen. Chips und Kroketten, Fertig-Rösti und Trockenflocken werden zwar immer mehr konsumiert, als Beilage zum Fleisch werden jedoch immer öfter Reis und Teigwaren gewählt, die meist preiswerter und auch leichter zuzubereiten sind. Die Pommes Frites sind heute ein Inbegriff von Fast-Food geworden.
Die schonendste Methode zum Kartoffelkochen ist das Kochen in der Schale. In der Gastronomie werden Kartoffeln meist vor dem Kochen maschinell geschält, was zum Verlust der meisten Vitamine und Mineralstoffe führt, vor allem wenn sie längere Zeit vorgerüstet bereit stehen, wie es meistens der Fall ist. Außerdem bereiten die meisten Köche Kartoffelbeilagen recht lieblos zu, es sei denn man bestellt für sich Rösti oder ein Graten. Kartoffeln können auf unzählige Art und Weise zubereitet werden, auch im Mikrowellenherd werden sie (angeblich) in wenigen Minuten ohne Wassereinsatz gar.
Seit dem 19. Jahrhundert werden bei uns die Schweine nicht mehr auf die Weide getrieben und tristen ihr kurzes Leben im Stall. Die früher von den Schweinen so geliebte Eichel und andere Waldfrüchte wurden zuerst vor allem durch die Kartoffel ersetzt. In den letzten Jahrzehnten werden stattdessen immer mehr Mastmittel auf dem Weltmarkt eingekauft. Gegen die billigen Weltmarktpreise hat die heimische Kartoffel nur einen schweren Stand. Selbst Länder, die Nahrungsmittelhilfe in Anspruch nehmen und in denen ganz große Bevölkerungskreise chronisch unterernährt sind, produzieren vor allem Soja für die Futtertröge unserer Mastbetriebe.
In den Einzelhandel gelangt die Kartoffel meist gewaschen in handlichen Packungen rund ums Jahr in großer Sortenvielfalt. Meist erfahren wir nur, dass es sich um Importware handelt, wie viel hundert oder tausend Kilometer sie zurückgelegt haben, erfahren wir nicht. Billig ist die Kartoffel als Volksnahrungsmittel schon lange nicht mehr, ein Päckchen Reis oder Spaghetti kostet meistens weniger und ist noch leichter nach Hause zu tragen.
Kartoffeln enthalten viel Wasser und sind deswegen nicht besonders lange haltbar. Sie müssen vor Frost und Nässe geschützt werde, auch vor Licht und Verletzung. Verletzte Knollen faulen schnell und verderben auch ihre Umgebung. Dazu wiegen Kartoffeln recht viel im Vergleich zu Mehl, Reis, Hülsenfrüchten und anderen trockenen Nahrungsmitteln. Die Inkas in den südamerikanischen Anden nützen den trockenen Nachtfrost und bereiten aus den Kartoffeln eine gefriergetrocknetee, lange haltbare Vorratsnahrung.
Sie pressen den Kartoffelsaft mit den Füßen aus und lassen die Knollen einige Nächte lang draußen zum Trocknen in der kalten, trockenen Luft liegen.
In Europa waren es um die vorletzte Jahrhundertwende vor allem Militärkreise, die die ersten Versuche veranlassten, Trockenflocken aus Kartoffeln herzustellen. Heute bietet die Nahrungsmittelindustrie eine Vielzahl von Fertigprodukten für den Haushalt und für Großverbraucher an.
Bei den heute stagnierenden Bevölkerungszahlen im überernährten Europa können wachsende Umsätze im Lebensmittelbereich nur durch zunehmende "Veredelung" der gleichen Nahrungsmenge erreicht werden. Selbst die Fitness- und Schlankheitswellen können durch entsprechende Angebote ausgenutzt werden.
Ein Kilogramm Kartoffel trägt man für ca. 1 Euro nach Hause, die gleiche Menge irgendeines mehr oder weniger fantasievollen Fertiggerichts kostet leicht zehnmal so viel. Verbessert durch Kochsalz, Fette, Konservierungsstoffe, Aromaverstärker, Farbstoffe und andere Delikatessen, wie wir auf der Packung nachlesen können. Im Mikrowellenherd zu Hause lassen sich diese Produkte schnell in eine Mahlzeit umwandeln. Ein kulinarisches Erlebnis werden sie dabei wohl selten.
Auch die Gastronomie bedient sich immer häufiger der Halbfabrikate, von der städtischen Volksküche bis zu der Nobelherberge der Spesenritter. Die Rüstarbeit in der Küche ist zu teuer geworden, auch bei schlecht bezahlten Saisoniers. Auf der Speisekarte findet man Kartoffeln immer seltener, sie sind zu teuer geworden und haben gleichzeitig ihren Ruf als Nahrung der Armen und Rückständigen nicht verloren. Der Gourmet weiß sie zu schätzen, doch die Mehrheit der Gäste verlangt nach Pizza, Spaghetti, Reis. Nur als Pommes Frites wird sie noch am häufigsten gegessen, die gute alte Kartoffel, irgendwo im Stehen am Bahnhofperron oder am Trottoir vor einer McDonalds-Gaststätte.
Der starke Chemie-Einsatz beim Kartoffelanbau hat natürlich auch den Ruf nach alternativen Anbaumethoden zur Folge. Als Bodenfrucht ist die Kartoffel besonders empfindlich gegen Überdüngung und Bodengifte.
Wenn heute die Chemie die mechanische Unkrautvernichtung und manuelle Schädlingsbekämpfung ersetzt hat, bedeutet die Alternative zu erst einmal viel mehr Arbeit. Seifenlauge gegen Pilzkrankheiten und Blattläuse und vor allem weg von großen Monokulturen unter Beachtung der richtigen Fruchtfolge ersparen den Einsatz von zu viel Pestiziden, Fungiziden und Herbiziden. Viele Bauern pflanzen für ihren Privatgebrauch einige Reihen Kartoffeln ganz getrennt von den anderen, die zum Verkauf bestimmt sind. Für den Eigenbedarf scheint sich der Mehraufwand zu lohnen.
Die Kartoffelstärke ist ein Ausgangsprodukt für viele Verwendungen, ob Stoffveredelung oder Papierherstellung, Medikamentenproduktion und vieles mehr. Doch wie auf anderen Gebieten, wird auch die Kartoffelstärke immer mehr durch die noch billigere Maisstärke verdrängt. Aus Kartoffeln lässt sich auch Alkohol brennen, den man vielleicht als Wodka konsumieren kann, in Mitteleuropa jedoch herrscht ein Überangebot an Obst und Wein, der bereits subventioniert zum Spiritus verarbeitet wird.
In der Zeit der Ölkrisen hat sich mancher Landwirt oder Autofahrer gefragt, ob man nicht aus heimischen Früchten ein Treibstoff herstellen könnten. Selbstverständlich lässt sich aus jeder organischen Substanz technisch ein Alkoholderivat herstellen mit dem man auch Verbrennungsmotoren betreiben könnte. Man kann theoretisch auch aus Kartoffeln oder Rüben Methanol herstellen, wie es in Brasilien aus Zuckerrohr gemacht wird. Berechnet man aber sorgfältig den Energieeinsatz in unserer heutigen Landwirtschaft, kommt man zu dem Resultat, dass ein Liter Biotreibstoff aus einheimischen Früchten mehr als anderthalb Liter Treibstoff als Energie-Einsatz erfordert.
So werden aus unseren Bauern auch in der Zukunft keine Ölscheichs.
Bereits als fremdländische Rarität weckte die Kartoffel auch Furcht und Vorurteile, sicher haben sich aus Unkenntnis einige Menschen an den oberirdischen Pflanzenteilen den Magen verdorben, große Vergiftungen wird es wohl nicht gegeben haben, da wohl niemand zu viel von den bitteren Früchten gegessen haben mag. Im damaligen Europa waren die Menschen nicht gewohnt, Früchte aus dem Boden zu essen. Was aus dem Boden kam, hätte vom Teufel sein können. Im zwanzigsten Jahrhundert warnte selbst Rudolf Steiner die Mütter, sie sollen ihren Kinder diese Früchte der Finsternis nicht geben, denn die Kartoffel sei als Nachtschattengewächs unberechenbar. Wer grüne oder nicht ganz gekochte Kartoffeln gegessen hat, der hat sich leicht vergiftet, bei Brennstoffmangel roh gegessene Kartoffeln waren sicher nicht gesund. Auch als Kartoffeln zu Hauptnahrung oder sogar zur einzigen Speise der armen Leute geworden sind, entstanden viele Vorurteile gegenüber der Armenkost. Und nicht zuletzt die Verwendung als Schweinefutter hat den feinen Leuten diese Frucht als nur wenig salonfähig deklariert. Man wollte nicht dasselbe auf dem Teller haben wie die Sau im Trog. Bis heute leben solche Vorurteile weiter, nicht wenige Leute behaupten, dass sie vom Kartoffelessen Kopfschmerzen bekommen.
Die große Zeit der Kartoffelanbaukultur in Europa war sicher das 19. Jahrhundert, die überernährten Europäer heute werden kaum große Kartoffelesser werden. Schnellgerichte und Fertignahrung werden sicher noch Spuren von Kartoffeln enthalten, auch wenn andere Ausgangstoffe auf dem Weltmarkt noch billiger zu beschaffen sind. Das gilt wohl auch für die großindustrielle Verwertung, wie auch für die Kartoffel als Vieh-Futtermittel. Vielleicht entdeckt man, wenn sie schon ganz selten geworden ist, die Kartoffel wieder: als eine Delikatesse aus den angeblich so guten alten Zeiten. In vielen Ländern der Welt, wo jedoch Mangel- und Fehlernährung herrscht, könnte der Kartoffelanbau einen Teil der Ernährungsproblematik lösen helfen, ein Allheilmittel ist die Kartoffel sicher auch nicht.Geschichte
Von Südamerika nach Europa
Einführung der Kartoffeln in den europäischen Raum
Kartoffeln kommen in die Schweiz
Hungersnöte
Kunst, Literatur
Industrialisierung
Auswanderung
Botanik
Geografie
Landwirtschaft
Anbau
Pflege
Schädlinge, Agrochemie
Ernte
Lagerung
Transport
Verwendung
Zubereitung im Haushalt und in Großküchen
Tierfutter, Mastkartoffel
Handel
Lebensmittelindustrie
Gastronomie
Alternative Anbaumethoden
Industrieverwertung
Treibstoff aus Kartoffeln
Vorurteile gegenüber Kartoffeln
Zukunft
mehr Beiträge zum Thema Ernährung und Kochkunst im Portal Essen & Trinken; |