Kriegsdienstverweigerung
Kriegsdienstverweigerung (KDV) ist die Weigerung, am Kriegsdienst teilzunehmen.Infolge der Erfahrungen mit zwei Weltkriegen wurde im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland das Grundrecht verankert, dass niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf (Grundgesetz-Artikel 4, Absatz 3) und erhielt somit Verfassungsrang. Mit der Einführung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland wurde allerdings die Ausübung dieses Grundrechts dadurch erschwert, dass die Berechtigung zur Verweigerung einer behördlichen Überprüfung ("Gewissensprüfung") durch ein Antragsverfahren unterzogen wird.
Auch in vielen anderen demokratischen Staaten mit einer Wehrpflichtigen-Armee gibt es rechtlich die Möglichkeit, den Militärdienst zu verweigern. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird in den verschiedenen Ländern unterschiedlich liberal oder streng gehandhabt und ausgelegt. Manchmal ist die Inanspruchnahme dieses Rechts nur auf bestimmte Gruppen (mit bestimmten religiösen oder moralischen Überzeugungen) beschränkt, oder sie ist verbunden mit der Überwindung von mal mehr, mal weniger hohen rechtlichen Hürden.
In vielen totalitären Ländern ist Kriegsdienstverweigerung rechtlich nicht möglich; jeder kann dort zum Dienst an der Waffe gezwungen werden. Kriegsdienstverweigerung wird in solchen Staaten in der Regel als Fahnenflucht (Desertion) verfolgt und ist mit teilweise harten (Gefängnis)Strafen verbunden. Zumindest im Kriegszustand kann die Ahndung von Kriegsdienstverweigerung bzw. Desertion bis zur Todesstrafe führen.
Zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gibt es in Deutschland zur Zeit das schriftliche Antragsverfahren. Über Form und Inhalt wird bei Experten zwar gerne gestritten, aber ein ehrlicher, selbst geschriebener Antrag eines Pazifisten kann auch nur eine einzige Seite umfassen. Nur in seltenen Fällen (also wenn der Antrag mehrmals fehlschlägt) wird heute noch eine mündliche Anhörung verlangt. Bis in die 1980er Jahre war das die Regel. Es gibt auch Vorschläge, diese mündliche Anhörung, hauptsächlich aus Kostengründen, ganz abzuschaffen.
Eine Kriegsdienstverweigerung kann in Deutschland von jedem und jederzeit eingereicht werden, aufschiebende Wirkung hat aber nur ein Antrag vor der Einberufung. Wer nach der Einberufung verweigert kann in Friedenszeiten dennoch zur Bundeswehr gezogen werden, bis über den Antrag entschieden wurde. Beratung für Kriegsdienstverweigerer bieten in vielen deutschen Städten die jeweils örtlich Beauftragten der christlichen Kirchen und die DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner). Viele, die dem Dienst irgendwie entkamen oder ihren Dienst (auch freiwillig und länger als normal) geleistet haben, stellen heute einen KDV-Antrag.
Kritisiert wird oft, dass die Annahmeverfahren, die durch das Kreiswehrersatzamt durchgeführt werden, ob der großen Anzahl von Anträgen (etwa 30% eines Jahrgangs verweigern) sehr mangelhaft sind. So kann es sein, dass zwei gleiche Anträge von verschiedenen Antragsstellern zu gegensätzlichen Ergebnissen führen. Ebenfalls sind eindeutig rechtswidrige Anerkennungen bekannt, in denen der Antragsteller keinerlei Bezug auf Art. 4.3 GG nahm. Ein Fall wurde gar auf Basis ökologischer Gewissensgründe anerkannt, da Militärfahrzeuge im Gelände die Natur schädigen würden.
Ein genereller Kritikpunkt an den in Deutschland in der Vergangenheit und heute gegebenen Anerkennungsverfahren von Kriegsdienstverweigerern war die Fraglichkeit der Prüfbarkeit eines Gewissens. Bei den bis in die achtziger Jahre des 20. JH. üblichen mündlichen Verfahren, die als Gewissensprüfung bezeichnet wurden, wurden z.T. ungewöhnliche Szenarien konstruiert, zu denen der Antragsteller eine seinem Gewissen konforme Stellungnahme abgeben sollte. Ein solches Szenario war, dass man versehentlich als Autofahrer jemanden tötet. Ein Antrag wurde abgelehnt, da sich der Antragsteller weigerte, seinen Führerschein abzugeben. Die Folge war, dass eine Reihe Zivildienstleistender im Fahrdienst Fahrten verweigerten. De facto wurden die Antragsteller jedoch von Organisationen, die Kriegsdienstverweigerer unterstützten, sowie von ihren Rechtsbeiständen darauf trainiert, rechtmäßig einwandfreie Antworten zu geben, sodass spätestens in dritter Instanz vor einem Verwaltungsgericht eine Anerkennung erstritten wurde.
Die konstruierten Szenarien und die Art und Weise der Interaktion der Gewissensprüfer mit den Antragstellern wurde ebenfalls erheblich kritisiert. Antragsteller, die alleine ohne Beistand in die Verhandlungen gingen, berichteten regelmäßig von Voreingenommenheit, Beleidigungen und Provokationen. Teilweise wurde in Frage gestellt, ob ein Verfahren im Einzelfall noch der Menschenwürde gerecht würde.
Umstritten war, ob die Kreiswehrersatzämter informell Anerkennungsquoten hätten und somit die Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern in den mündlichen Anhörungen eher von der Anzahl der benötigten Wehrpflichtigen bestimmt wurde, als von der Argumentation des Antragstellers. Dieselbe Frage wurde gestellt, als mit Abschaffung der mündlichen Anhörungen die Dauer des Zivildienstes von 16 auf 20 Monate erhöht wurde (Wehrdienst 15 Monate), wobei argumentiert wurde, dass die Dauer des Wehrdienstes inkl. späterer Wehrübungen durchaus 20 Monate erreichen könne, was aber nur ausnahmsweise der Fall war. Mit derselben Argumentation wird dagegen derzeit angestrebt, die Zivildienstzeit auf 9 Monate zu verkürzen.
In Teilen der Gesellschaft fand man es stets bedenklich, dass ein Kriegsdienstverweigerer nachweisen musste, dass er irreperablen seelischen Schaden erleiden würde, sollte er gegen sein Gewissen Kriegsdienst an der Waffe leisten (und bei dieser Gelegenheit einen anderen Menschen töten) müssen. Dagegen wurde postuliert, dass ein normaler Soldat keinen solchen Schaden erleiden müsste, was allerdings der Gefechtsrealität widersprach. Einige Gruppierungen regten daher in den siebziger und frühen achtziger Jahren immer wieder eine analoge Prüfung für Soldaten an, in denen die angehenden Rekruten glaubhaft darlegen sollten, dass sie ohne irgendwelche psychischen Probleme Menschen töten könnten, da sie sonst zum Kriegsdienst mit der Waffe nicht geeignet seien. Der Vorschlag wurde jedoch politisch niemals aufgegriffen.
Auch Frauen verweigern gelegentlich den Kriegsdienst, was aber oft nur zu Verwirrung bei den Ämtern führt. Basis ist hierbei Art. 12a Absatz 4 GG: Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten. Dadurch, dass eine Frau nicht zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden kann, erübrigt sich auch eine Verweigerung nach Art. 4.3 GG. Eine Frau, die also den Kriegsdienst, in diesem Zusammenhang den Dienst, der sich aus Artikel 12a Absatz 4 herleitet, verweigert, tut dies ohne Rechtsgrundlage und könnte mit einem Totalverweigerer gleichgesetzt werden. Rechtliche Konsequenzen aus Frauen-KDV sind nicht bekannt.
Derzeit findet in Deutschland eine Diskussion um die Abschaffung der Wehrpflicht statt, die letztendlich auch die Abschaffung des Zivildienstes mit sich brächte. Eine Kriegsdienstverweigerung beträfe im gesetzten Fall nur Berufssoldaten, die sich im Nachhinein auf Gewissensgründe berufen.
Da jedoch eine Reihe von sozialen Einrichtungen in erheblichen Maße auf Zivildienstleistende als engagierte und billige Arbeitskräfte angewiesen sind, würde dies zu finanziellen Problemem oder Personalengpässen bei diesen Einrichtungen führen. Diskutiert wird derzeit ein soziales Pflichtjahr oder die Förderung freiwilligen Sozialdienstes, sollte die Wehrpflicht abgeschafft werden. Insofern wird die Zukunft der Wehrpflicht, der Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes in Deutschland vom Gestzgeber eher als eine politsche Frage diskutiert, etwa angesichts des Problems, wie soziale Interessengruppen und die Finanzierung des Sozialstaats berücksichtigt werden können.
Die Frage der nationalen Verteidigungsfähigkeit und die Forderungen vieler Politiker und militärischer Kreise nach neuen Aufgaben der Bundeswehr nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und des Kalten Krieges, die deren Flexibilität und internationale Einsatzfähigkeit ermöglichen soll, wird mit einer Umstrukturierung der Armee beantwortet. Der Artikel 4 Absatz 3 in seinem moralischen Ursprung spielt bei diesen Diskussionen derzeit nur eine untergeordnete Rolle.
Siehe auch: Wehrersatzpflicht, Wehrpflicht, Totalverweigerer, Wehrdienstverweigerung der Zeugen Jehovas
Kritik an den Verfahren
Kriegsdienstverweigerungen von Frauen in Deutschland
Wehrpflicht, Kriegsdienstverweigerer und Soziales System
Weblinks