Kreiswinkel
Ist k ein Kreis mit dem Mittelpunkt M, und sind A und B zwei Punkte auf dem Kreis k, dann heißt der Winkel AMB der Mittelpunktswinkel der Sehne AB in dem Kreis k. Nun gilt der folgende Satz (der so genannte Kreiswinkelsatz):Ist P ein beliebiger Punkt auf dem Kreis k (wobei P vorerst weder mit A noch mit B zusammenfallen soll), dann gilt < APB = < AMB / 2, wenn die Punkte P und M in derselben Halbebene bezüglich der Geraden AB liegen, und < APB = 180° - < AMB / 2, wenn die Punkte P und M in verschiedenen Halbebenen bezüglich der Geraden AB liegen.
Dieser Kreiswinkelsatz enthält eine Vielzahl von Sätzen über Winkel am Kreis als Sonderfälle. Erstens folgt aus ihm, dass für zwei verschiedene Punkte P und P' auf dem Kreis k, die auf derselben Halbebene bezüglich der Geraden AB liegen, stets < APB = < AP'B gilt (in der Tat ist entweder < APB = < AMB / 2 und < AP'B = < AMB / 2, oder < APB = 180° - < AMB / 2 und < AP'B = 180° - < AMB / 2, je nachdem, in welcher Halbebene die Punkte P und P' liegen). Dieser Satz heißt Umfangswinkelsatz. Der Winkel < AMB / 2 heißt spitzer Umfangswinkel über der Sehne AB im Kreis k, und der Winkel 180° - < AMB / 2 heißt stumpfer Umfangswinkel über der Sehne AB im Kreis k. Spitze und stumpfe Umfangswinkel werden auch allgemein als Umfangswinkel bezeichnet. Für "Umfangswinkel" ist auch das Synonym "Peripheriewinkel" gebräuchlich.
Die folgende Verallgemeinerung gilt für beliebige Dreiecke und heißt Umfangswinkelsatz oder Peripheriewinkelsatz:
- Sind A, B, C Punkte auf einem Kreis mit dem Mittelpunkt M, und ist der Winkel ABC spitz, so ist der Winkel AMC doppelt so groß wie der Winkel ABC.
Schließlich betrachten wir zwei Grenzfälle des Kreiswinkelsatzes:
Zunächst untersuchen wir den Fall, in dem AB ein Durchmesser des Kreises k ist. Dann kann man nicht eindeutig sagen, ob die Punkte P und M in derselben Halbebenen der Geraden AB liegen oder in verschiedenen Halbebenen, denn der Punkt M liegt auf der Geraden AB und somit strenggenommen in beiden Halbebenen. Man kann aber den Kreiswinkelsatz auf die beiden Fälle gleichzeitig anwenden, und erhält für jeden Punkt P auf dem Kreis k die Gleichungen < APB = < AMB / 2 und < APB = 180° - < AMB / 2 gleichzeitig. Daraus folgt < APB = 180° - < APB, also 2 * < APB = 180° und < APB = 90°. Damit hat man gezeigt, dass der Umfangswinkel über dem Durchmesser eines Kreises stets gleich 90° ist. Dies ist der Satz von Thales.
Schließlich betrachten wir den Fall, dass der Punkt P mit dem Punkt B übereinstimmt. Diesen Fall hatten wir vorhin bei der Formulierung des Kreiswinkelsatzes verboten, und zwar aus guten Gründen: ein Winkel der Art < ABB ist sinnlos! Doch wenn wir die Sehne BB als Grenzfall der Sehnen BP betrachten, wobei der Punkt P den Kreis k entlangläuft und sich immer mehr dem Punkt B nähert, sehen wir, dass die Sehne BB sinnvollerweise als Tangente an den Kreis k in dem Punkt B aufzufassen ist. Der Winkel < ABB ist dann zu verstehen als der Winkel zwischen der Sehne AB und der Tangente an den Kreis k in dem Punkt B. (Eigentlich gibt es zwei solche Winkel - abhängig davon, in welche Richtung man den Schenkel entlang der Tangente nimmt -, aber wir nehmen zum Zwecke der Eindeutigkeit den spitzen von diesen zwei Winkeln.) Nach dem Kreiswinkelsatz ist dann dieser Winkel < ABB gleich < AMB / 2, also gleich dem spitzen Umfangswinkel über der Sehne AB. Dieser Sachverhalt heißt Sehnentangentenwinkelsatz; mathematisch gesehen muss er gesondert bewiesen werden (die obigen Grenzbetrachtungen waren alles andere als mathematisch streng), aber der Beweis ist nicht schwer.