Komplexe Zahl
Komplexe Zahlen erweitern den Körper der reellen Zahlen derart, dass sämtliche (nicht konstanten) algebraischen Gleichungen auflösbar werden, z. B. nicht nur:
- (Lösungen x1,2 = ±1),
- (keine reellen Lösungen).
- a + bi
Komplexe Zahlen wurden zuerst benötigt, als man bei der Lösung kubischer Gleichungen mit Hilfe der Cardanische Formeln auf das Problem stieß, eine Quadratwurzel aus einer negativen Zahl zu ziehen, obwohl jede kubische Gleichung mindestens eine reelle Lösung hat ( Casus irreducibilis).
Die folgende Definition nimmt zunächst keinen Bezug auf die imaginäre Einheit i, sondern erfolgt in der Paarschreibweise:
Definition
Die Menge der Paare reeller Zahlen mit den so definierten Verknüpfungen bildet einen Körper .
Die erste Komponente des Paares , also , nennt man den Realteil der komplexen Zahl , den zweiten, also , den Imaginärteil.
Die Zahl hat die Eigenschaft, dass
Komplexe Zahlen mit Imaginärteil verhalten sich wie reelle Zahlen:
Die komplexe Zahl nennt man die imaginäre Einheit, kurz (oder auch in der Elektrotechnik).
Mit diesen Gleichsetzungen kann jede komplexe Zahl in Realteil und Imaginärteil zerlegt werden:
Schreibweise a+bi
Man kann sie also mit ihrem Realteil identifizieren, d.h. jede reelle Zahl ist eine komplexe Zahl mit Imaginärteil Null:
Zum Beispiel ist oder .
Damit kann von der Paarschreibweise zu einer "gewohnten" Schreibweise übergegangen werden, wobei man neben den reellen Zahlen , jetzt aber zusätzlich die (nicht reelle) Zahl benutzt, die die Eigenschaft besitzt, und die daher auch als "Wurzel aus -1" aufgefasst wird.
Die Definitionen von Addition und Multiplikation lassen sich nun als übliche Klammerrechnung interpretieren:
Man addiert die beiden Realteile und die beiden Imaginärteile separat:
Addition:
Rechenbeispiele
Subtraktion:
Multiplikation:
Komplexe Ebene
Zahlengerade mit √2, e und π |
Während sich die Menge der reellen Zahlen an einer Zahlengeraden veranschaulichen lässt, kann man die Menge der komplexen Zahlen als Ebene (komplexe Ebene, Gauß'sche Ebene) interpretieren. Die Menge der reellen Zahlen bildet darin die waagerechte Achse, die Menge der rein imaginären Zahlen (d.h. mit Realteil 0) bildet die senkrechte Achse. Eine komplexe Zahl wird als Punkt mit den Koordinaten und dargestellt.
Da die Addition komplexer Zahlen komponentenweise erfolgt, kann sie geometrisch als Pfeiladdition (Vektoraddition) interpretiert werden.
Polardarstellung, Betrag und Argument
Gaußsche Ebene mit einer komplexen Zahl in kartesischen und in Polarkoordinaten |
Anstatt durch seine Koordinaten a und b kann ein Punkt in der Ebene auch durch den Abstand vom Ursprung und den Winkel zwischen der waagerechten Achse und der Verbindung zum Ursprung beschrieben werden (Polarkoordinaten).
Es gilt dann
- ,
- ,
- ,
- .
Man kann das Argument von durch die folgende Formel berechnen:
Es gilt die Darstellung
- .
- .
Eine komplexe Zahl mit ihrer komplex konjugierten. |
Ersetzt man den Imaginärteil einer komplexen Zahl durch sein negatives , erhält man die zu konjugiert komplexe Zahl . In Polarkoordinaten hat den negativen Winkel von .
Komplexe Zahlen spielen in der Grundlagenphysik eine zentrale Rolle. So passt insbesondere die mathematische Struktur der Quantentheorie exakt zur Struktur der komplexen Zahlenmathematik, die dort nicht weg zu denken ist. Sie findet dort Verwendung bei der Definition von Differentialoperatoren in der Schrödinger-Gleichung und der Klein-Gordon-Gleichung. Für die Dirac-Gleichung benötigt man eine Zahlbereichserweiterung der komplexen Zahlen, die Quaternionen. Alternativ ist eine Formulierung mit Pauli-Matrizen möglich, die aber die gleiche algebraische Struktur wie die Quaternionen aufweisen.
In der Relativitätstheorie werden Raum und Zeit zur einer vierdimensionalen Raum-Zeit verknüpft. Substituiert man dazu die Zeit t mittels x4 = ict durch eine 4. Raumkoordinate x4, so ergibt sich eine Form der Naturgesetze, in denen diese vier Koordinaten strukturell völlig gleichberechtigt auftreten. So erhält man insbesondere für die Metrik M dieser Raum-Zeit
Naturphilosophische Aspekte der komplexen Zahlen
die die gleiche fundamentale Rolle für die Raum-Zeit spielt wie der räumliche Abstand für den gewöhnlichen Raum. Diese Substitution wird von einigen Autoren in Lehrbüchern verwendet, die die spezielle Relativitätstheorie behandeln oder Abschnitte hierüber beinhalten. Der Ausdruck x = (x,y,z,ict) wird auch als Vierervektor bezeichnet. In der Praxis hat sich allerdings eine Formulierung mit reellen Vierervektoren durchgesetzt, eingebettet in einen Formalismus, der direkt zur allgemeinen Relativitätstheorie führt. Dabei werden je nach Definition der zugrundeliegenden Metrik verschiedene Formen verwendet, z.B. x = (ct,x,y,z) oder y = (x,y,z,ct). Man vermutet jedoch die Existenz zusätzlicher verborgener Dimensionen der Raum-Zeit, über deren Anzahl und Struktur noch spekuliert wird, so dass der Stellenwert der Substitution x4 = ict letztlich noch offen ist. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass die noch zu entdeckenden Theorie der Quantengravitation, die die beiden Säulen des derzeitigen physikalischen Theoriengebäudes, nämlich die Quanten- und die Relativitätstheorie, vereinigen würde, ohne komplexe Zahlen auskommen würde.
Darüber hinaus ist die Mathematik der komplexen Zahlen derjenigen der reellen Zahlen hinsichtlich Eleganz und Abgeschlossenheit deutlich überlegen. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, jede differenzierbare komplexe Funktion automatisch unendlich oft differenzierbar, anders als in der Mathematik der reellen Zahlen.
Es hat sich gezeigt, dass komplexe Zahlen tiefer in der Natur und auch in der Mathematik verankert sind, als man zur Zeit ihrer Entdeckung ahnen konnte. Die grundlegende Frage scheint fast weniger zu sein, warum die Quantentheorie so gut zu den komplexen Zahlen passt, sondern warum wir bei der physikalischen Beschreibung unserer Alltagswelt eigentlich so gut mit den reellen Zahlen auskommen.
Komplexe Zahlen haben in der Physik und Technik eine wichtige Rolle als Rechenhilfe. So lässt sich insbesondere die Behandlung von Differentialgleichungen zu Schwingungsvorgängen vereinfachen, da sich damit die komplizierten Beziehungen in Zusammenhang mit Produkten von Sinus- bzw. Kosinusfunktionen durch Produkte von Exponentialfunktionen ersetzen lassen, wobei lediglich die Exponenten addiert werden müssen. So fügt man dazu beispielsweise in der komplexen Wechselstromrechnung willkürliche aber passende Imaginärteile in die reellen Ausgangsgleichungen ein, die man bei der Auswertung der Rechergebnisse dann wieder ignoriert. Es handelt sich dabei lediglich um einen Rechentrick ohne philosophischen Hintergrund.
In der Fluiddynamik werden komplexe Zahlen eingesetzt, um ebene Potenzialströmungen zu erklären und zu verstehen. Jede beliebige komplexe Funktion eines komplexen Arguments stellt immer eine ebene Potenzialströmung dar - der geometrische Ort entspricht dem komplexen Argument in der Gauß'schen Zahlenebene, das Strömungspotenzial dem Realteil der Funktion, und die Stromlinien den Isolinien des Imaginärteils der Funktion mit umgekehrtem Vorzeichen. Das Vektorfeld der Strömungsgeschwindigkeit entspricht der konjugiert komplexen ersten Ableitung der Funktion. Durchs Experimentieren mit verschiedenen Überlagerungen von Parallelströmung, Quellen, Senken, Dipolen und Wirbeln kann man die Umströmung unterschiedlicher Konturen darstellen. Verzerren lassen sich diese Strömungsbilder durch konforme Abbildung - das komplexe Argument wird durch eine Funktion des komplexen Arguments ersetzt. Beispielsweise lässt sich die Umströmung eines Kreiszylinders (Parallelströmung + Dipol + Wirbel) in die Umströmung eines tragflügel-ähnlichen Profils (Jukowski-Profil) verzerren und die Rolle des tragenden Wirbels an einer Flugzeug-Tragfläche studieren. So nützlich diese Methode zum Lernen und Verstehen ist, zur genauen Berechnung reicht sie im allgemeinen nicht aus.
Wichtig ist auch die Anwendung komplexer Zahlen bei der Berechnung uneigentlicher reeller Integralee im Rahmen des Residuensatzes der Funktionentheorie.
Komplexe Zahlen in der angewandten Mathematik
Verwandte Themen
Weblinks