Kibbuz
Als Kibbuzim (pl.) bezeichnet man ländliche Kollektivsiedlungen in Israel mit gemeinsamem Eigentum und basisdemokratischen Strukturen. Es gibt etwa 270 dieser Dörfer mit einer Größe von bis zu 1000 Einwohnern, zu Neugründungen kommt es heute kaum mehr.Weitere landwirtschaftliche Siedlungsformen sind die zahlreicheren (etwa 400) Moschawim, die genossenschaftlich organisiert sind, sowie Mischformen aus Kibbuz und Moschaw. Eine weitere Form sind schließlich die (deutlich weniger als 100) Moschawot, die mit europäischen Dörfern vergleichbar sind.
Im Zusammenhang mit den Kibbuzim werden häufig die Begriffe Kommunismus oder Sozialismus verwendet. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Kibbuzim - anders als die sozialistischen Staaten des ehemaligen Ostblocks -auf Freiwilligkeit basieren.
Unterscheiden lassen sich generell säkulare Kibbuzim, die die jüdischen religiösen Traditionen nicht mehr als verbindlich betrachten (obwohl vielfach die Feste noch begangen werden), und religiöse Kibbuzim, die in verschiedenen Richtungen die religiösen Traditionen pflegen und für ihre Mitglieder als verbindlich betrachten.
Ideologie des Kibbuz
Die Ideologie der Kibbuzgründer war sozialistisch und zionistisch geprägt. Diese Ausrichtung hatte vor allem zwei Gründe:
- Die Erfahrung der Unterdrückung (Antisemitismus, Pogrome) in den früheren "Gastländern" in der Diaspora, welche die neu zugewanderte Gründergeneration mit nach Israel brachte.
- Die Prägung durch die patriarchialische Gesellschaft des osteuropäischen Shtetl.
Geschichtliche Entwicklung des Kibbuz
Die ersten Kibbuzim
Als erster Kibbuz wurde 1909 Degania A am Südende des See Genezareth gegründet, bald darauf folgten weitere Kibbuzim (vgl. Tabelle unten).
Die Kibbuzim spielten eine entscheidende Rolle bei der jüdischen Besiedlung Israels. Ein Vorteil der Kibbuzim bestand vor allem in der Anfangszeit darin, dass leichter (Wehr-)Siedlungen in bisher kaum erschlossenen Gegenden gegründet werden konnten (unter Umständen auch gegen den Willen dort wohnender Palästinenser).
In den ersten Jahrzehnten schlug sich die Ideologie stark im Lebensalltag der Kibbuzmitglieder, der Chawerim, nieder. Entscheidungen wurden in der Mitgliederversammlung basisdemokratisch getroffen. Die einzelnen Chawerim besaßen kein Eigentum, sondern sie brachten ihre Arbeitleistung unentgeltlich für das Kollektiv ein. Im Gegenzug stellte der Kibbuz Wohnung, Kleidung, Verpflegung und medizinische Versorgung zur Verfügung. Die Gleichberechtigung umfasste auch eine Rotation in allen wichtigen Ämtern und bei der Besetzung der Arbeitsplätze.
Die Gleichberechtigung sollte auch die Frauen umfassen. Deswegen wurden viele hauswirtschaftliche Aufgaben als Dienstleistungen vom Kibbuz angeboten: es bestanden zentrale Wäschereien, Schneidereien sowie ein gemeinsamer Speisesaal (der "Chadar Ochel"); der Speisesaal war zugleich Kristallisationspunkt des gemeinschaftlichen Lebens, sowohl beim Essen als auch bei Festen und Versammlungen.
Die Kindererziehung wurde ebenfalls zentralisiert: die Kinder wuchsen in eigenen Häusern unter der Obhut von Erzieherinnen auf und besuchten ihre Eltern nur wenige Stunden am Tag.
Veränderungen nach der israelischen Staatsgründung
Zur Zeit der Entstehung des Staates Israel im Jahr 1948 kam es zu einer Welle von Neugründungen (vgl. Tabelle). Gleichzeitig verloren die Kibbuzim einige zentrale Aufgaben der Anfangszeit, vor allem im Bereich von Besiedlung und Verteidigung, die an den neu gegründeten Staat übergingen.
Noch umfassender waren die Veränderungen der folgenden Jahrzehnte:
- Die Rolle der Familie wurde wichtiger, das Kollektivbewusstsein nahm ab. Eine wichtige Konsequenz war die weitgehende Abschaffung der Kinderhäuser (die Frauen übernahmen gleichzeitig wieder eine traditionelle Frauen- und Mutterrolle). Eine weitere Folge war eine zunehmende Desintegration des Kibbuz.
- Durch zunehmende wirtschaftliche Probleme waren viele Kibbuzim darauf angewiesen, neue Geschäftsfelder (v.a. in der Industrie und im Tourismus) zu erschließen.
- Im Vergleich zum marktwirtschaftlichen Umfeld verlor der Kibbuz an Attraktivität.
- Basisdemokratie und Ämterrotation zeigten sich im Alltag oft als wenig praktikabel.
Viele Kibbuzim haben versucht, sich den Herausforderungen zu stellen. Häufig wurden die zentralen Dienstleistungen reduziert oder aufgegeben, teilweise existiert nicht einmal mehr der Speisesaal. Privates Eigentum ist inzwischen selbstverständlich, die Chawerim beziehen ein Gehalt, über das sie verfügen können.
Erkennbar ist eine deutliche Entwicklung des Kibbuz hin zu einem "normalen" Dorf, von "sozialistischen" Siedlungen kann man kaum mehr sprechen. Eine weitere Auflösung der Kibbuzim und ihrer ursprünglichen Ideale in der Zukunft ist wahrscheinlich. Eine Gegenbewegung stellt der Versuch dar, die Grundidee des Kibbuz auf urbane Umgebungen zu übertragen (Kibbuz Tamuz, Kibbuz Migwan).
Veränderungen in neuerer Zeit
Die beschriebenen Entwicklungen haben sich in den zurückliegenden Jahren eher beschleunigt; viele Siedlungen befinden sich wirtschaftlich und ideologisch unter Druck.
Dazu kommt das Problem einer zunehmenden Überalterung, weil die junge Generation den Kibbuz verlässt. Liste der Kibbuzim
Detailliertere Informationen zu den einzelnen Kibbuzim enthält die Liste der Kibbuzim.
Jahr | Bevölkerung | Anzahl der Kibbuzim |
1910 | 10 | 1 |
1920 | 805 | 12 |
1940 | 26.554 | 82 |
1950* | 66.708 | 214 |
1970 | 85.110 | 229 |
1990 | 125.100 | 270 |
2001 | 115.500 | 267 |
*Nach dem Unabhängigkeitskrieg wurden im Jahr 1949 50 Kibbuzim neu gegründet. |
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