Kathedersozialismus
Der Kathedersozialismus bezeichnet eine politische Strömung vornehmlich der bürgerlichen deutschen Nationalökonomen, entstanden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.Der Name Kathedersozialismus wurde von dem Liberalen Heinrich Bernhard Oppenheim durch einen Zeitungsartikel vom Dezember 1871 geprägt. Die Bezeichnung Kathedersozialismus ist irreführend, denn die sogenannten Kathedersozialisten waren keine Sozialisten im damaligen Sprachgebrauch, sondern Reformisten, die die kapitalistsiche Gesellschaftsform vor Krisen und Niedergang bewahren wollten.
Die Vertreter dieser Strömung verfolgten das Ziel, die Arbeiterschaft durch Reformvorschläge und sozialpolitische Maßnahmen vom politischen Kampf abzulenken und den Kommunismus direkt und indirekt zu bekämpfen. Die einflußreichste Richtung innerhalb des Kathedersozialismus war die Schule von Gustav Schmoller, die das Preußentum als die berufene Kraft zur Überwindung der sozialen Spannungen feierte und die "soziale Mission" der preußischen Krone jahrhunderteweit zurückverfolgte.
Der linke Flügel der Kathedersozialisten um Lujo Brentano und Werner Sombart bemühte sich nicht ohne Erfolg um ideologischen Einfluß auf die Revisionisten (Revisionismus) und strebte innenpolitisch nach weiterer Liberalisierung und gelenkten staatlichen Sozialreformen unter Mitbeteiligung der sogenannten "Arbeiteraristokratie".
Die Konzeption des Kathersozialismus enthielt bereits deutliche staatskapitalistische Tendenzen und wurde eine theoretische Grundlage für den Sozialreformismus. Die Anhänger des Kathedersozialismus bildeten den Kern des 1872 gegründeten Vereins für Sozialpolitik als ein zentrales Organ, das Einfluß auf die öffentliche Meinung und auf die soziale Gesetzgebung zu erlangen suchte.
Die Tagungen und Veröffentlichungen dieses Vereins, dem von Anfang an neben Universitätsprofessoren auch führende Mitglieder des staatlichen Apparates angehörten, erstreckten sich bis in die ersten Jahres des Nationalsozialismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Verein neu gegründet, um an die gewachsenen Traditionen anzuschließen.