Irrationalismus
Der Irrationalismus (lat irrationalis : unvernünftig ) bezeichnet Weltanschauungen, die auf diesen oder jene Weise das wissenschaftliche Denken für unfähig erklären, die bestimmenden Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der objektiven Realität zu erkennen, und dieses durch andere - für die Vertreter und Anhänger höhere - Erkenntnisfunktionen wie Intuition, Erleben, Wesensschau u.a. ersetzen wollen.Dem Irrationalismus gelten die objektive Realität ihrem Wesen nach oder bestimmte ihrer Bereiche (etwa das Leben, die psychischen Prozesse, die Geschichte) als nicht von Gesetzen und Gesetzmäßigkeiten beherrscht, als irrational.
Der Irrationalismus ist keine selbständige philosophische Strömung, sondern Moment und Bestandteil der verschiedesten philosophsichen Strömungen und Systeme. Mehr oder weniger starke Momente des Irrationalismus sind allen Philosophien eigen, insofern sie dem wissenschaftlichen Denken (dem Verstand, der Ratio, der Vernunft) nicht zugängliche Bereiche der Wirklichkeit behaupten (Gott, Unsterblichkeit, religiöse Probleme, Dinge an sich u.a.), von Prinzipien ausgehen, die als solche des Verstandes ausgegeben werden, tatsächlich aber den Anforderungen wissenschaftlichen Denkens nicht genügen (Rationalismus, jeder Idealismus überhaupt) oder (meist unbewusst) irrationale Gegebenheiten feststellen, sobald sie die Geschichte und Gesellschaft in ihre philosophischen Reflexionen einbeziehen (z.B. im mechanischen Materialismus).
Von Irrationalismus im engeren oder eigentlichen Sinne spricht man bei Weltanschauungen, denen die genannten Momente in starkem Maße immanent sind und die darüber hinaus das wissenschaftliche Denken zugunsten so genannter höherer Erkenntnisfunktionen, das Denken überhaupt zugunsten der Intuition abbauen wollen und gegen den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsgedanken auftreten.
Vorläufer dieser Art von Irrationalismus waren Friedrich Heinrich Jacobi, vor allem Schelling. In Schellings Schrift Philosophie der Offenbarung (1843) liegt der "erste Versuch [vor], Autoritätsglauben, Gefühlsmystik, gnostische Phantasterei in die freie Wissenschaft des Denkens einzuschmuggeln" (Friedrich Engels).
Zum tragenden weltanschaulichen Bestandteil wird der Irrationalismus in den Philosophien Kierkegaards, Schopenhauers und Friedrich Nietzsches. Von diesen gehen mannigfaltige Einflüsse auf die verschiedenen Strömungen, vor allem auf die deutsche Philosophie aus, die über die Lebensphilosophie, den Neuhegelianismus, den Existentialismus und Antirationalismus ihren Höhepunkt in der Ideologie zum deutschen Nationalsozialismus finden.
Die Philosophie der Gegenwart huldigt über weite Strecken dem Irrationalismus. Ausgesprochene Erscheinungsformen des Irrationalismus in der Gegenwart sind vor allem der Neuthomismus, der Existentialismus, der Pragmatismus und der Personalismus. Starke Elemente des Irrationalismus finden sich auch im Neupositivismus bzw. im Positivismus.