Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein
Die Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein (ISKCON), im Westen besser bekannt als Hare Krishna, ist eine von Abhay Charan Bhaktivedanta Swami Prabhupada gegründete Religionsgemeinschaft auf der Grundlage des Hinduismus vishnuitischer Prägung.
Table of contents |
2 Lehren der ISKCON 3 Besonderheiten der ISKCON |
Einige Stichworte zum kulturhistorischen Hintergrund
16. Jahrhundert
Der Einfall der Muslime in Indien (14-16. Jahrhundert) hinterließ im kollektiven Bewußtsein der Hindus eine tiefe Wunde, die bis heute nachwirkt. Die traditionelle Religions- und Gesellschaftsordnung (Kastenordnung) wurde erschüttert, die Hindus sahen sich anstelle von hinduistischen Brahmanen und Fürsten von fremdgläubigen Eroberern regiert, Tempel wurden zerstört. Religiöse Lehrer versuchten auf diesen "Zusammenprall der Kulturen" auf verschiedene Weise zu reagieren (vergleiche Eintrag zu den Sikh); einer dieser Lehrer war Chaitanya. Chaitanya begründete eine auf dem Gott Krishna ausgerichtete Frömmigkeitsbewegung, die über Kasten- und Religionsgrenzen hinwegging und Menschen unterschiedlichster Herkunft einbezog. Wichtigstes Kennzeichen dieser Bewegung war das ekstatische Singen des Mantras Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare/Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare. Hari ist ein Beiname des Vishnu; Rama bedeutet wörtlich "Freude" und bezeichnet den siebenten Avatar des Gottes Vishnu, den Heros und Gott Rama. Die Formen sind Vokative, das Mantra lautet also wörtlich "O Hari, O Krishna ... " etc. Da "in diesem Zeitalter des Streites und der Heuchelei" (noch einmal: die traditionelle Gesellschaftsordnung war beschädigt) die ordnungsgemäße Durchführung religiöser Rituale nicht mehr möglich sei, bilde das Singen des Mantras den einzigen Weg zur Erlösung.
Von Chaitanya ist überliefert, das er einen Muslim in seine Gemeinschaft aufgenommen hatte, der für seine Hinwendung zu Chaitanyas Krishna-Bewegung aus der islamischen Gemeinschaft ausgestoßen und für vogelfrei erklärt wurde; und Chaitanya nahm ihn nicht nur in seine Gemeinschaft auf, sondern erklärte den ehemaligen Muslim zum "namacharya" (etwa: "Ehren-Guru") des Chantens (Singens) von "Hare Krishna". Diese Episode ist sehr wichtig, da sie etwas Bedeutsames über das Verhältnis der von Chaitanya begründeten Bewegung zu anderen Religionen verrät.
Nach seinem Tode erlangte Chaitanya im Bewußtsein seiner Anhänger schnell den Status eines Gottes; er wird von ihnen als zehnter Avatar des Vishnu beziehungsweise als Reinkarnation des Krishna betrachtet (diese Deutung wird von dem meisten Anhängern des Hinduismus nicht geteilt).
19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert ergab sich ein weiterer "Zusammenprall" des Hinduismus mit den auf die Lehren des Hinduismus herabschauenden christlich-protestantischen britischen Invasoren. Als Reaktion auf das missionarisch auftretende, Exklusivität beanspruchende Christentum wurde versucht, die Bhagavad Gita als "Bibel des Hinduismus" zu etablieren und eine Krishna-Religion zu schaffen, die auf Chaitanya als "Messias" aufbaut und nach außen missionarisch auftritt. In seinem Aufsatz "Das Bhagavata: Seine Philosophie, seine Ethik und seine Theologie" bezeichnet Bhaktivinoda Thakura Saraswati Chaitanya in Analogie zu Jesus Christus als "Heiland des Ostens". Ziel dieser Bewegung ist es, die Religion von Krishna "auf der ganzen Welt" zu verbreiten. Da die meisten Hindus jedoch Indien als "heiliges Land" ansehen und es deswegen in früheren Zeiten seltener verließen, blieb die Krishna/Chaitanya-Religion vorläufig auf Indien beschränkt.
1960er Jahre des 20. Jahrhunderts
Ein Mensch, der den Auftrag Bhaktivinoda Thakura Saraswatis ernst nahm, war Abhay Charan Bhaktivedanta Prabhupada (1896-1972). Dem Wunsch seines Meisters folgend, begab er sich in den 1960er Jahren in die Vereinigten Staaten von Amerika. Er begab sich zunächst nach Boston, dann nach New York, schließlich nach Kalifornien, dem "Mekka" der Aussteiger, Esoteriker und Hippies, wo seine Botschaft auf offene Ohren stieß. Die amerikanische Gesellschaft befand sich im Umbruch (Vietnamkrieg, Frauenrechte, Gleichberechtigung der schwarzen Mitbürger); das allgemeine Interesse an fernöstlichen Religionen war hoch. Kurzzeitig hatten die Lehren der ISKCON großen Einfluß auf die Popkultur (George Harrison, My sweet lord, Musical Hair); von Amerika aus verbreitete sich die ISKCON als Großstadt-Religion über die ganze Welt. 1970 wurde in Hamburg der erste Tempel in Deutschland gegründet.
Lehren der ISKCON
Religiöse Praxis
Hauptform des Gottesdienstes ist das gemeinsame Singen von Sanskrit-Mantras, hauptsächlich Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare/Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare. Dieses Singen wird Chanten oder Sankirtan genannt.
Der Sankirtan funktioniert nach dem Prinzip "Ruf und Antwort"; das heißt ein Vorsänger singt eine Phrase auf Sanskrit, welche anschließend vom Chor wiederholt wird. Die der Sankirtan erfolgt zumeist unter Begleitung charakteristischer indischer Musikinstrumente wie Harmonium, Karatalas (kleine Zimbeln) und Mridangas (eine längliche Trommel mit zwei Enden, die man sich umhängen kann).
Der Sankirtan wird eingeleitet von einer Lobpreisung Chaitanyas und seiner Jünger, welche zumeist lautet: Shri Krishna Chaitanya / Prabhu Nityananda / Shri Advaita / Gadadhara / Shri Vasadi / gaura-bhakta-vrinda. Anschließend zumeist Gesang des Mantras Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare/ Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare; auch Lobpreisungen Chaitanyas und seines Hauptjüngers (Haribol, Haribol, Haribol, Nitai-Gaura Haribol) sowie Prabhupadas (Prabhupad, Prabhupad, Prabhupad Jaya Jaya Prabhupad).
Es können (nach dem Prinzip "Ruf und Antwort") auch Lieder gesungen werden, die mehr Worte umfassen; diese Sanskrit-Lieder werden als "Bhajans" bezeichnet.
Der Sankirtan dauert im Schnitt 1 ½ bis 2 Stunden; während des Sankirtan wird häufig ein Altar mit Lichtern, Blumen(kränzen), Räucherstäbchen und so weiter geschmückt. Auf dem Altar stehen Bilder hinduistischer Gottheiten und Heiliger; insbesondere von Krishna und seiner Freundin Radha, von Chaitanya und seinen Jüngern sowie von Prabhupada und der Linie der Gurus, aus der Prabhupada stammt. Die Bilder gelten als "transzendental"; das heißt sie werden als "lebendig" angesehen.
Während des Sankirtan wird den Bildnissen vorbereitetes vegetarisches Essen dargebracht. Da die Bilder als "lebendig" gelten; nehmen die Gottheiten die vor sie hingestellten Speisen auch tatsächlich zu sich.
Nach Beendigung des Sankirtan wird aus einem Werk Prabhupadas vorgelesen, etwa aus seinen Kommentierungen der Bhagavad Gita und des Bhagavata. Die Textstelle wird vom Vorleser interpretiert; es besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
Nach der "Predigt" folgt mitunter noch ein kleiner Gesang; anschließend die Verteilung der Opferspeisen an die Teilnehmer. Die von den Gottheiten "angerührten" Speisen gelten als heilig; man bezeichnet die Speisen dann als "Prasadam" (göttliche Gnade). Das "Prasadam" ist möglicherweise ein wenig vergleichbar der Kommunion in der christlichen Kirche; der Verzehr der geheiligten Speisen führt zu einer "Vereinigung" mit Krishna und soll auch "Ungläubige" von allen Sünden befreien.
Die Speisung geht über in Plauderei und Beisammensein.
Religiöse Regeln
Wer in die ISKCON als Mönch oder Nonne eintritt, muß sich einem rigiden System mit detaillierten Vorschriften und einem streng geregelten Tagesablauf beugen. Jedes Ordensmitglied muß pro Tag 1728 Wiederholungen des Mantras "Hare Krishna ..." chanten. Hierbei wird eine "Japa-mala" verwendet, das in Asien gebräuchliche Gegenstück zum "Rosenkranz", eine Kette mit 108 Perlen, welche die 108 Gefährtinnen von Krishna symbolisieren.
Verboten sind bestimmte Speisen und Substanzen (neben Fleisch, Eiern, Alkohol, Drogen auch Knoblauch, Zwiebeln, scharfe Gewürze, Kakao, Kaffee, "echter" Tee - nicht Kräutertee). Verboten ist auch alles, was Ei(bestandteile) enthält, zum Beispiel bestimmte Nudeln, die meisten Kuchen und Gebäcke. Bei Käse ist zu differenzieren, ob dieser Lab enthält (dann verboten). Pilze sind zwar nicht "verboten", gelten aber als "nicht opferfähig", weil sie auf "Verrottetem" wachsen.
Erlaubt sind Milch und Milchprodukte sowie pflanzliche Kost. An Fastentagen wird auf Getreidekost verzichtet. Begrüßt wird im allgemeinen der Verzehr von "krishnabewußtem" Süßem, da der Geschmack des Süßen die "Süße" der Krishna-Religion wiederspiegeln soll.
Unerwünscht ist jegliche Beschäftigung, die nicht auf Krishna abzielt (etwa Kino, Fernsehen, nicht krishnabewußte Bücher und Zeitschriften, Ausgehen, sonstige Vergnügungen).
Erwünscht ist Geschlechtertrennung, von Frauen wurde eine "häusliche" Rolle erwartet. Ehen wurden arrangiert; Sex ist nur in der Ehe während der fruchtbaren Tage der Frau gestattet, "um ein krishnabewußtes Kind zu zeugen". Zuneigung und zärtlicher Umgang im allgemeinen führen zu "Anhaftung an die materielle Welt" und sollten deswegen unterdrückt werden.
Die Aufnahme in die ISKCON erfordert mehrere Einweihungszeremonien Gläubige, die sich einweihen lassen, erhalten neue Namen: zunächst "Bhakta (Max)" beziehungsweise "Bhaktini (Luzie)" (siehe Bhakti Yoga), auf der nächsten Stufe einen hinduistischen Namen gefolgt von dem Partikel "dasa / dasi" (Diener beziehungsweise Dienerin Krishnas). Beispiel: Krishna das, Radha dasi. Eingeweihte tragen häufig ein längliches, gabelförmiges Zeichen (Tilaka) auf der Stirn.
Beachtet werden spezifische Fastentage und Feiertage des Hinduismus vishnuitischer Prägung. Gefastet wird insbesondere am elften Tage nach Vollmond und am elften Tage nach Neumond (Ekadashi-Tage). Gefeiert werden insbesondere der Geburtstag Chaitanyas (Gaura Purnima) im März, der Geburtstag Krishnas (Janmashtami) Ende August /Anfang September und der Geburtstag Prabhupadas (1. September 1896).
Im allg. sollte ein "krishnabewußter" Mensch alles für "Krishna", das heißt die ISKCON aufgeben. Dies wird von den Anhängern mit unterschiedlicher Konsequenz befolgt.
Besonderheiten der ISKCON
Kernthese der ISKCON ist, die Bestimmung des Menschen sei "Diener". Um diese These zu stützen, untergräbt die ISKCON in der Bhagavad Gita dargelegte Grundsätze über die Selbsterkenntnis und die Stärkung des "höheren Selbst". So verwendet die ISKCON in ihrer Übersetzung/Kommentierung der Bhagavad Gita, die als allein verbindlich gilt ("Bhagavad Gita Wie Sie Ist"), sinnverändernde Worte und fügt auch Worte ein. Beispielsweise wird das Wort "bhakti", was "Hingabe" bedeutet, durchgängig wiedergegeben mit dem Wort (hingebungsvoller) "Dienst". ("Dienst" heißt "seva", nicht "bhakti").
Persönliche und familiäre Bindungen (Zuneigung) werden abgewertet. Die Bindung zwischen Mann und Frau diene lediglich der gegenseitigen Befriedigung niederer Triebe, Sorge für ihre Jungen brächten auch die Tiere auf. Ehen wurden arrangiert; Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und in Gurukulas (ISKCON-Schulen) gesteckt. Ziel ist eine absolute Bindung an die Organisation, die vom Anhänger absoluten, unkritischen Gehorsam verlangt.
Eine wichtige Form des "Gottesdienstes" ist die "Verteilung" von Büchern und sowie das Eintreiben von Spenden. Der Vertrieb von Büchern ist ein wichtiges wirtschaftliches Standbein der ISKCON, die mit ihrem System von Tempeln und "im hingebungsvollen Dienst tätigen" Anhängern, wie viele andere umstrittene Religionsgemeinschaften, über eine kommerzielle Vertriebsstruktur nach dem Vorbild internationaler Wirtschaftsunternehmen verfügt.
Allgemein ist festzuhalten, daß ISKCON aufgrund der Veränderungen im Zeitgeist heutzutage weniger Anhänger anzieht als in den 1960er und 1970er Jahren.
Anmerkung
Bezüglich des langandauernden Chantens des Mantras ist anzumerken, des es, wie viele Arten der monotonen Wiederholung, eine bewußtseinsverändernde Wirkung hat. Ähnlich wie bei der Vorbereitung einer Hypnose wird durch monotone Wiederholung der "wache Teil" des Bewußtseins "eingeschläfert" und ein Weg eröffnet, Informationen direkt ins Unterbewußtsein zu vermitteln. Diese Möglichkeit der Suggestion sollte bei der Teilnahme an Meditationsveranstaltungen stets beachtet werden.