Indianer und Deutsche
Indianer und DeutscheVom letzten Mohikaner über Sitting Bull bis zu Atréju: Indianer sind seit gut 200 Jahren beinahe jedem Deutschen aus der Kindheitslektüre oder aus Filmen vertraut, kaum einer kennt jedoch persönlich einen Indianer. Indianer haben immer wieder Kinderspiele, Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller inspiriert. Das Indianerbild schwankte stets zwischen dem "edlen Wilden" bis zur skalpierwütigen "Bestie". Im Kontext der New Age- und Esoterik-Szene dominiert inzwischen das Bild vom weisen Schamanen, Heiler und Umweltschützer. Der Artikel weist auf die verschiedenen Aspekte der Beziehungen hin. "Deutsch" meint dabei nicht eine Staatsbürgerschaft oder Nationalität, sondern den deutschsprachigen Raum, in dem ein stetes Wechselspiel von Rezeption und Produktivität stattfindet.
Deutsche kamen erst vereinzelt als britische Söldner oder Forschungsreisende nach Nordamerika. Erst im 19. Jahrhundert kam es zu einer Masseneinwanderung von fünf Millionen Deutschen in die Neue Welt. Die Ortsnamen verraten oft noch heute die Herkunft ihrer Gründer, zum Beispiel in North Dakota (Hauptstadt Bismarck). Wie die anderen Gruppen trugen die Deutschen dazu bei, die Indianer aus ihren angestammten Heimatgebieten zu verdrängen. - Insgesamt scheint es nicht-britischen Siedlern und anderen Einwanderern leichter gefallen zu sein, die Indianer in ihrer Eigenständigkeit zu respektieren. Aber für manche Deutsche im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert verliehen die edlen Wilden Nordamerika einen besonderen Reiz.
Philipp Georg Friedrich von Reck bereiste 1733/34 Massachusetts und Georgia, wo er sich bei den Creek aufhielt.
Christian Gottlieb Prieber aus Zittau, ein Jurist und politischer Utopist, emigrierte 1735 nach Nordamerika. Ab 1736 lebte er mit den Cherokee in Tennessee. Er nahm ihre Sitten an, versuchte aber auch, dort seine Idealgesellschaft zu errichten. 1743 wurde er vom Militär festgenommen, er starb 1745 im Gefängnis.
1815 bis 1817 bereist Maximilian zu Wied-Neuwied Brasilien, wo er zwei assimilierten und sechs intakten Indianerstämmen begegnet. In Wort und Bild dokumentiert er seine Reise. 1832 bis 1834 leitet Wied eine Expedition durch Nordamerika, bei der er sich vom Schweizer Maler Karl Bodmer begleiten liess (siehe unten).
Die Wittelsbacher-Prinzessin Therese von Bayern, eine Tochter des Prinzregent Luitpold, reiste 1893 in die USA. Die Sammlung von indianischen Kunst- und Handwerkserzeugnissen, die sie von dort mitbrachte, bereichert heute das Völkerkundemuseum in München. Sie publizierte unter anderem über die Pueblo-Indianer.
Franz Boas, 1858 in Minden geboren, wanderte nach Amerika aus und studierte das Leben der Kwakiutl in USA und Kanada. Er begründete die moderne Kulturanthropologie, indem er Feldforschung statt "Armchair-Ethnologie" betrieb.
Die Indianisch-amerikanische Schriftstellerin Louise Erdrich, deren Vater deutscher Abstammung ist, thematisiert in ihren Werken immer wieder das Zusammenleben von Weiß und Rot, insbesondere auch das Schicksal deutscher Einwanderer. So ist der Metzger Fidelis Waldvogel die Hauptfigur ihres Romans The Master Butchers Singing Club.
Karl Bodmer (1809-1893) begleitete 1832-34 den Naturforscher Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied auf einer Nordamerika-Expedition. Er porträtierte zahlreiche Indianer in North Dakota, am Ohio und Missouri, unter anderen Blackfeet, Choctaw, Cherokee und Chickasaw. Bodmer arbeitete seine Skizzen zu Aquarellen aus. 81 seiner Illustrationen schmücken Prinz Maximilians Werk Reise im Inneren von Nordamerika (1844). Viele Bodmer-Skizzen werden heute im Joslyn Art Museumin Omaha, Nebraska aufbewahrt.
Der Journalist und Maler Rudolf Cronau (1858-1939) illustrierte nicht nur seine Berichte aus Nordamerika, sondern freundete sich auch mit Sitting Bull an, den er porträtierte.
1913 bis 1921 lebte der Münchner Maler Julius Seyler in Montana, bewirtschaftete eine Farm und malte zahlreiche Bilder von seinen Nachbarn vom Stamm der Blackfeet (Three Bear, Eagle Calf, Bear Pipe Man usw.) oder von ihren heiligen Orten wie dem Chief Mountain.
Klaus Dill (1922-2002) wurde durch zahlreiche Illustrationen zu Karl-May-Büchern und Plakaten zu Western bekannt. Er malte einen Zyklus zum Leben von Tecumseh aus 12 großformatigen Ölbildern.
Verschiedene Völkerkundemuseen haben bedeutende Sammlungen zur indianischen Kultur und Kunst. In Berlin, München oder im Lindenmuseum Stuttgart wurde in den letzten Jahren erweitert oder umstrukturiert, ebenso in Zürich (siehe Weblinks).
Die Ausstellung Im Reich der Bisonjäger machte in den letzten Jahren in verschiedenen Städten Station und fand in Wiesbaden (2003) oder Rosenheim (2003/04) großen Anklang. Diese Wanderausstellung wird vom 5. September 2004 bis 28. Februar 2005 im Museum am Schölerberg in Osnabrück gezeigt. Sie enthält u.a. Stücke der Sammlung Heinz Bründl, des Geschäftsführers der Münchener Winona GmbH.
Der Richter i.R. Karl-Heinrich Gehricke (* 1929) ist wie Bründl ein privater Sammler. 1975 besuchte er erstmals Indianer in den USA und lebte dann immer wieder bei verschiedenen Stämmen. Heute besitzt er die weltgröße Sammlung von Kulturgütern vom Medizinbeutel bis zu Schmuck und Töpferware. 2001 begann er, sein eigenes Indianermuseum in Gevezin (Mecklenburg-Strelitz) aufzubauen. Die Eröffnung ist für Sommer 2004 geplant)
Werner Arens und Hans-Martin Braun: Der Gesang des Schwarzen Bären. Zweisprachig. München: Beck, 1992, ISBN 3-406-36736-4 - Die Anthologie enthält Lieder und Gedichte der Indianer und bildet erstmals in deutscher Sprache einen Querschnitt über 500 Jahre ihrer Entwicklung.
Adelbert von Chamisso (1781-1838) nahm 1815-18 an einer von Russland initiierten Weltumseglung unter Leitung von Otto von Kotzebue teil. Dabei lernte er sowohl Indios in Lateinamerike, als auch kalifornische Indianer kennen. Er verfasste zwei Gedichte dazu: Der Stein der Mutter oder der Guahiba-indianer und Rede des alten Kriegers Bunte Schlange im Rate der Creek-Indianer. Chamisso kritisierte den Umgang der Kolonisatoren und der US-Regierung mit den Native Americans.
Karl Postl (1793-1864) lebte von 1823-31 in den USA. Er veröffentlichte unter dem Pseudonym Charles Sealsfield mehrere Romane, darunter Tokeah oder Die Weiße Rose. Darin behandelt er die Vertreibung der Creek und lässt historische Persönlichkeiten wie Tecumseh auftreten. Er, und auch Friedrich Gerstäker, beschrieben die Indianer realistischer als vorangehende Autoren, welche die Indianer meist entweder als primitive Wilde oder aber als edle Helden beschrieben.
Karl May (1842-1912) begründete die Indianer-Liebe ganzer Generationen von Deutschen mit seinen Winnetou-Romanen. Nicht wenige moderne Indianer distanzieren sich von den Karl-May-Romanen, die als sehr realitätsfremd gelten.
Bekannt wurden die Romane des Nazi-Ideologen Fritz Steuben vor allem über Tecumseh.
In den 1950er-Jahren veröffentlichte der Schweizer Ernst Herzig unter dem Pseudonym Ernest Hearting einige Biographien von bekannten Häuptlingen. Er sprach damit vor allem Jugendliche an.
Der österreichische Schriftsteller Franz Xaver Weiser schrieb zwischen 1930 und 1970 einige Jugendromane über die Waldlandindianer des Nordostens.
Die österreichische Schriftstellerin Käthe Recheis, die bis 2004 mehr als 60 eigene Titel veröffentlichte, publizierte neben Kinder- und Jugendliteratur zum Thema Indianer auch 13 Titel mit indianischen Originaltexten, teils beim deutschen Herder-Verlag. Reicheis erreicht Leser im gesamten deutschsprachigen Raum und wird auch von Indianern positiv rezensiert. Seit 1961 unternahm sie zahlreiche Reisen nach Nord- und Südamerika, wo sie bei Indianern lebte. Der Abenaki Joseph Bruchac gab Recheis den Namen Molse-Mawa (Fell des Wolfes, d.h. Beschützerin der Indianer). Recheis gründete zusammen mit ihrem Bruder, dem Arzt Dr. Romed Recheis, den Gemeinnützigen Verein zur Unterstützung von Indianerschulen.
Deutsche und Indianer in den USA
Bildende Kunst, Museen, Ausstellungen
Literatur, Film und andere Medien
Franz Kafka (1883-1924) verfasste die Erzählung Wunsch, Indianer zu werden, die erstmals 1913 gedruckt wurde (in: Betrachtung, Leipzig: Rowohlt). Die Erzählung besteht nur aus einem Satz: "Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glattgemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf."
Michael Ende stellt in seinem Fantasy-Roman Die unendliche Geschichte seinem schüchternen Helden Bastian Balthasar Bux den edlen Indianerjungen Atréju als Alter Ego zur Seite, der auserwählt wird, die kindliche Kaiserin und das Land Phantásien zu retten. Atréju könnte mit seinem langen schwarzen Haar ein jüngerer Bruder Winnetous sein, trägt aber einen roten Mantel.
In seiner Romanbiographie Die Entdeckung der Langsamkeit (1983) behandelt der deutsche Schriftsteller und Historiker Sten Nadolny das Leben des britischen Forschungsreisenden John Franklin (1786-1847). Ausführlich schilderte er die Nordamerika-Expeditionen Franklins und baut den Häuptling Akaitcho zum Alter Ego der Hauptfigur aus.
Gus Backus hatte in den 1960er Jahren Erfolg mit seinem Schlager Schwarzer Bär und Weiße Taube, einer Art Hero-und-Leander-Variante
Die Deutschpop-Gruppe Pur, die aus Bietigheim-Bissingen stammt, hat Erfolg mit dem Song Indianer (u.a. auf "Hits PUR", 2001)
Im 19. Jahrhundert wurden Indianer im Rahmen von Völkerschauen ausgestellt, die teils in Zoos stattfanden. Berühmt wurde die Hagenbecksche Völkerschau von Carl Hagenbeck (1844-1913). Die Dresdner konnten sich bereits 1879 acht kanadische Irokesen anschauen, und Rudolf Cronau engagierte als Freund von Sitting Bull Hunkpapa-Lakota, die 1886 nach Europa kamen. Im großen Stil unternahm Buffalo Bill Europareisen: er brachte 1890 rund 200 Indianer mit. Eine weitere Tournee unternahm er 1903-1907.
In Deutschland leben seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs viele Indianer, die als Angehörige der US-Army kamen, blieben und zum Teil weitere Indianer nachholten. Zahlenangaben sind schwierig, da sie entweder als US-Bürger, Kanadier oder Bürger eines lateinamerikanischen Staates gelten oder inzwischen als Deutsche.
Der wichtigste Verband von Indianern in Deutschland ist die 1994 gegründete Native American Association of Germany (NAAoG) mit Sitz in Kaiserslautern. Sie hat 230 Mitglieder in Deutschland, Europa und USA. Vorstand Lindbergh Namingha ist Hopi
Einzelne Indianer kommen immer wieder nach Deutschland:
Indianer in Deutschland
Indianer in der Schweiz
1974 reiste der Cherokee Jimmy Durham in die Schweiz, um die Gründung eines Netzwerkes anzuregen, das zusammen mit den Indianern für ihre Rechte einstehen sollte. Wichtig war Durham insbesonere der Zugang zur UNO in Genf, um den Indianern Gehör an höchster internationler Stelle zu verschaffen. So entstand die Schweizer Menschenrechtsorganisation Incomindios Schweiz, welche die Indianer unter anderem noch heute bei ihrem jährlichen Besuch an der UNO unterstützt.
Immer wieder sind indianische Musiker in der Schweiz auf Tournee, so zum Beispiel die Navaho-Band Black Fire und der Menominee-Gitarrist Wade Fernandez. Der Cheyenne-Dichter Lance Hanson lebte etliche Jahre in der Schweiz.
Weblinks allgemein
Weblinks zu Forschern, Schriftstellern und Künstlern