Ikonophobie
Als Ikonophobie oder Bilderangst bezeichnet man einen Grundzug verschiedener menschlicher Strukturen wie Religionen und Wissenschaften bestimmter Ausprägung.Die Ursachen für diese Bilderangst sind noch nicht hinreichend erforscht. Angenommen wird beispielsweise ein Konflikt zwischen dem mythischen Gehalt des Bildes und dem rationalen Anteil dieser Strukturen, wie dies beispielsweise Horkheimer und Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung (1944) herausarbeiten; Ursache der Ikonophobie wäre demnach der archaische Konflikt zwischen Mythos und Logos. Der Mythos "stellt ein Bild von der Welt und umstellt die Welt mit Bildern" (Bolz 1991), daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Austreibung des Mythos aus der Kultur zur Horizonterweiterung des Menschen. Aufklärung ist damit nichts anders als Tilgung des Bildcharakters von Bewußtsein, also ein Entbilderungsunternehmen.
Diese Denkfigur kehrt bei Nietzsche wieder als Abstraktheit der Moderne bzw. Apollinisches und Disonysisches, die dieser jedoch in seiner invertierten Moralität wiederum beklagt.
Neuere Forschungen der Bildwissenschaft aus dem Kontext des Iconic turn beginnen erstmals, dieses Wechselverhältnis wertneutral zu analysieren.
Table of contents |
2 Ikonophobie in den Wissenschaften 3 Visuelle Zeitenwende 4 Siehe auch |
Die jüdische Religion gilt ausgewiesenermaßen als bilderfeindlich, d.h. ikonoklastisch; dieser Zug kommt bereits im Alten Testament in der Erzählung von Moses und Aron zum Ausdruck. Als Kern des Problems wird hier die Differenz von Wahrheit des Wortes und Schein des (Götzen-) Bildes (altgr. eídolon, lat. idolum) genannt. In der rationalistischsten aller Religionen wird der Zusammenhang von Bilderfurcht und Religioität evident.
Ähnliche bilderfeindliche Züge finden sich auch in der christlichen Religion, zumindest bis zum Bilderdekret des Tridentiner Konzils von 1563, und darüber hinaus noch in einigen Richtungen der Reformation.
Die Bilderfurcht der Wissenschaften, die ihren Ursprung ja in der Philosophie der Antike haben, reicht zumindest bis Platon zurück, der in seiner Ideenlehre eine klare Unterscheidung zwischen den Dingen an sich (Urbild oder Idee, altgr. eidos), unserer äußeren Realität und deren Abbildern vornimmt. Bilder sind demnach nur Schatten von Schatten (altgr. skiá), verzerren also die Schau der Dinge an sich bis zur Unkenntlichkeit; Platon spricht im Liniengleichnis von "vagen Bildern" (eikónes, skiaí und phantásmata), d.h. Vermutungen oder Ahnungen (aikasía) im strikten Gegensatz zur Vernunft (nóesis). Bei Platon manifestiert sich dabei auch die moralische Verbindung von Erkenntnis (altgr. epistéme) und dem Schönen/Wahren/Guten (algr. agathón) und damit die moralische Abwertung der Bildhaftigkeit. d.h. des Trugs:
Auch die Wissenschaften der Moderne haben sich nur bedingt von der Bilderfurcht getrennt. Bilder wurden überwiegend als illustrierendes Beiwerk einem Text beigegeben und erreichten nur selten eine Eigenständigkeit. Nach der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern im 15. Jahrhundert entwickelte sich in der Renaissance eine zunächst bilderlose Buchtradition, d.h. ein alphabetisches Monopol, das bis in die Moderne reicht (vgl. auch Gutenberg-Galaxis).
Ein Umdenken findet in den Naturwissenschaften beispielsweise bei Charles Darwin (Origin of Species) und Ernst Haeckel (Generelle Morphologie, 1866) statt; hier werden beschreibende Erläuterungen von Bild-Diagramme verwendet, die sich in reiner Schriftlichkeit kaum noch ausdrücken ließen.
Ein hoher Grad an Ikonophobie findet sich auch heute noch beispielsweise in der Jurisprudenz, die Klaus F. Röhl im Projekt Visuelle Rechtskommunikation untersucht. Hier gilt noch immer: "Recht ist Text". Auch Fabian Steinhauer weist Bilderangst als Kennzeichen des modernen Rechtsstaats nach.
Zahlreiche Indizien deuten auf einen forwährenden Prozess der Überwindung der Ikonophobie in den Wissenschaften der westlichen Gesellschaften hin. Bisher sind dabei drei entscheidende Einschnitte festzustellen:
Mit der Entwicklung des altgriechischen Alphabets um 1000 v. Chr setzt die Visualisierung von Sprache an. Noch Sokrates und Platon bekämpfen vehement die "Trennung des Wissenden vom Wissen", können sich jedoch nicht durchsetzen. Dadurch wird die exakte Speicherung und Tradierung von Wissen über die Traditionen der Oralität hinweg möglich.
In einem zweiten Entwicklungsschritt werden Makrokosmus und Mikrokosmos sehbar durch die Erfindung von Teleskop (um 1611) und Mikroskop (um 1625). Diese Entwicklungen führen zu einem Paradigmenwechsel in der Wissenschaft: Kopernikanische Wende und Ablösung der Urzeugungstheorie durch die Präformationstheorie.
In einem vorerst letzten Schritt wird es durch Entdeckung der Röntgenstrahlen möglich, das Unsichtbare sehbar zu machen (um 1895); hierbei wird erstmals etwas anderes als sichtbares Licht zur Visualisierung von Objekten genutzt; Röntgen-ö bzw. Computertomographie, Elektronen- und Ionenmikroskopie bilden dabei nur eine quantitative Verbesserung, keinen qualitativen Sprung (Peter Rumpf).
Die Überwindung der tiefsitzenden Ikonophobie ist demnach ein Prozess, der sich über mehrere Jahrtausende hinzieht und entweder in einer Emanzipation der Bildanwendung und -analyse (Flusser), oder aber in einer neuen Oralität (McLuhan) münden könnte.
Ikonophobie in den Religionen
Ikonophobie in den Wissenschaften
In ungewöhnlicher Einmütigkeit mit Platon orientiert sich dann auch Aristoteles und die an ihn anschließenden Wissenschaftler bis ins Mittelalter an der Ablehnung der Bildlichkeit. Wissenschaftliche Abhandlungen bestehen i.d.R. ausschließlich aus Text, der in den Skriptorien handschriftlich verfasst und ggf. illuminiert wird, jedoch keine inhaltsrelevanten visuellen Elemente enthält.Visuelle Zeitenwende
Siehe auch