Heteronormativität
Begriff aus dem Bereich der Queer Studies und der Queer Theory. Der Begriff wurde zunächst nur als Kritik von Heterosexualität als Norm, und Homosexualität als (krankhafte, unnatürliche etc.) Abweichung benutzt; erst in dem Maße, wie die Queer Theorie sich auch der Gender-Problematik (siehe Transgender) annahm, wurde er auch auf diese bezogen.
Heteronormativität beschreibt ein binäres Geschlechtssystem, in welchem lediglich genau zwei Geschlechter akzeptiert sind, und das Geschlecht mit Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle und sexueller Orientierung gleichgesetzt wird.
- Frauen: weibliche Geschlechtsmerkmale = weibliche Geschlechtsidentität = weibliches Verhalten = begehrt männliche Partner
- Männer: männliche Geschlechtmerkmale = männliche Identität = männliches Verhalten = begehrt weibliche Partner
Dieses System lässt offensichtlich keinen Raum für:
- Intersexuelle
- Schwule, Lesben und Bisexuelle
- Transgender
- Ihnen wird bei der Geburt ein Geschlecht zugewiesen, und (häufig verstümmelnde) medizinische Eingriffe werden vorgenommen, um den Körper diesem zugewiesenen Geschlecht anzupassen. Starker sozialer Druck (von Eltern, Ärzten, Lehrern etc.) wird ermutigt, um das Kind dazu zu bringen, sich entsprechend dieses zugewiesenen Geschlechts zu verhalten. Dies ist bis heute die Standardprozedur in Europa und Nordamerika, obwohl die Kritik zunimmt.
- Lesbisches und schwules Verhalten wird immer sozial, fast immer auch legal streng sanktioniert. Wenn solches Verhalten nicht soweit unterdrückt werden kann, dass es wenigstens aus den Augen der Öffentlichkeit verschwindet, wird die Annahme ermutigt, dass schwule Männer keine wirklichen "Männer" sind, sondern eine starke weibliche Komponente haben (und umgekehrt) und/oder dass in einer lesbischen oder schwulen Partnerschaft immer eine/r der Mann (=aktiv) und eine/r die Frau (=passiv) ist. In einigen Fällen ist dies soweit gegangen, dass Schwulen und Lesben eine "Geschlechtsumwandlung" nahegelegt wurde (in Europa und Nordamerika in den 1960ern und 1970ern) oder sie sogar zu einer solchen gezwungen wurden (in Südafrika in den 1980ern und 1990ern).
- Dieses Verhalten wurde entweder soweit pathologisiert, dass Transgender routinemäßig in psychiatrischen Anstalten, seltener auch Gefängnissen, verschwanden, oder ihnen wurde das Lebensrecht gleich ganz abgesprochen. Letzteres geschieht, indem solches Verhalten offiziell mit dem Tode bestraft wird (heute z.B. Saudi-Arabien) oder durch die faktische Weigerung, die Mörder von Transgendern zu verfolgen oder anzuklagen. Letzteres wird meistens von einer entsprechenden Berichterstattung in den Medien begleitet (heute, in weiten Teilen der Welt).
(Bitte beachten: Dies ist die Beschreibung des Umgangs des heteronormativen Systems mit "Transsexuellen". Dies ist keine Beschreibung von Transsexuellen oder Transgendern.)
Heteronormative Systeme werden meistens gerechtfertigt mit religiösen oder traditionellen Argumenten oder, vor allem in westlichen Kulturen, durch wissenschaftliche (biologische, medizinische, psychologische) Argumente.
Heteronormativität wird häufig mit Patriarchalität assoziiert, manchmal sogar verwechselt. Allerdings haben nicht alle patriarchalen Systeme ein binäres Geschlechtssystem; einige haben Raum für ein drittes Geschlecht.
Siehe auch: Sexualmoral, Liste der Transgender-Themen, Heterosexismus