Gewalt
Gewalt bedeutet von der sprachlichen Wurzel her vor allem
Herrschaft,
Regierung, Vollmacht (vgl. Begriffe wie
Gewaltenteilung, öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis). Im alltäglichen Sprachgebrauch, etwa in Wörtern und Wendungen wie Gewaltverbrechen, gewalttätig, Gewaltandrohung,
elterliche Gewalt, richterliche Gewalt, Vergewaltigung, überwiegen Aspekte des Zwangs bis hin zu Rohheit und Zerstörung.
Gewalt ist ein universeller Sachverhalt in fast jedem sozialen Zusammenhang. Begrifflich wird vielfach unterschieden zwischen physischer, psychischer und verbaler Gewalt, direkter und indirekter (struktureller), offener und versteckter, intendierter und nicht-intendierter, personeller und institutioneller, spontaner und organisierter, rationaler und irrationaler, legaler und illegaler, legitimer und illegitimer, revolutionärer und reaktionärer, rechter und linker Gewalt usw.
Diesen Differenzierungen lassen sich die folgenden Umschreibungen ungefähr zuordnen:
- Direkte psychische Gewalt ist durch die einseitige Anwendung von physischer Kraft zur Durchsetzung von Ansprüchen und Erwartungen gekennzeichnet. Sie kann auch gegen Sachen gerichtet sein.
- Institutionelle Gewalt drückt sich prototypisch im Hoheits- und Gehorsamsanspruch des Staates gegenüber seinen Bürgern aus. Dem Staat wird das "Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit" (Max Weber) eingeräumt, das er innerhalb eines rechtlich geschützten Rahmens ausüben kann und soll.
- Strukturelle oder verkappte Gewalt meint die Beschädigung von Menschen an Leib und Leben, die Ausdruck bestimmter Verhältnisse und Strukturen sind (z.B. der hierarchischen Rangstufen und sozialen Klassen bis zu den vielfältigen Formen der Abhängigkeit)
- Sanfte oder schleichende Gewalt, die von der Kulturtradition mittels Erziehung und Bildung bis zu den direkten und indirekten Einflüsterungen durch Sprache und Medien ausgeübt wird.
In der öffentlichen Debatte wird Gewalt in Verbindung mit
Terrorismus,
Extremismus und
Fundamentalismus sowie als allgemeine gesellschaftliche Erscheinung diskutiert. Dabei ist einerseits eine wachsende Sensibilisierung gegenüber Gewaltverhältnissen zu beobachten, andererseits eine wachsende Gewaltbereitschaft vor allem männlicher Jugendlicher. Dagegen werden zunehmend Programme zur Gewaltprävention erprobt.
Die koordinierte Gewalt der Verbrecherbanden, Geheimdienste und Streitkräfte braucht zur Gewissensberuhigung ihrer Mittäter in der Regel eine Ideologie. Sie soll den Gewalttaten den Anschein der Legitimität verleihen und die Veränderung flankieren, die in dem Menschen vorgeht, der "in einer Sozialstruktur verankert wird". Milgram weiter: Dann "tritt an die Stelle des autonomen Menschen ein neues Wesen, das von seinen individuellen Moralvorstellungen nicht mehr eingeschränkt ist ..."
Siehe auch
Aggression, strukturelle Gewalt, Gewalt in der Bibel, Gewaltlosigkeit, James E. Davis, Dekade zur Überwindung von Gewalt
Literatur
- Bauman, Zygmunt (2000): Alte und neue Gewalt. In: Journal für Konflikt- und Gewaltforschung. Jg. 2, H. 1, S. 28-42.
- Bauman, Zygmunt (1996): Gewalt ? modern und postmodern. In: Miller; Max/Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.): Modernität und Barbarei. Frankfurt a. M., S. 36-67.
- Eisner, Manuel (2001): Individuelle Gewalt und Modernisierung in Europa, 1200-2000. In: In: Albrecht, Günter/Backes, Otto/Kühnel, Wolfgang (Hrsg.): Gewaltkriminalität zwischen Mythos und Realität. Frankfurt a. M., S. 71-100.
- Galtung, Johan (1975): Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Reinbek.
- Grohs, Jürgen: Weltgeschichte, Aufklärung, Wahn & Gewalt, Norderstedt 2004
- Heitmeyer, Wilhelm/Hagan, John (Hrsg.) (2002): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden.
- Heitmeyer, Wilhelm/Soeffner, Hans-Georg (2004): Gewalt. edition Suhrkamp. Frankfurt a. M. ISBN 3-518-12246-0.
- Hitzler, Ronald (1999): Gewalt als Tätigkeit. Vorschläge zu einer handlungstypologischen Begriffserklärung. In: Neckel, Sighard/Schwab-Trapp, Michael (Hrsg.): Ordnungen der Gewalt. Beiträge zu einer politischen Soziologie der Gewalt und des Krieges. Opladen, S. 9-19.
- Hobbes, Thomas (1980): Leviathan. Stuttgart.
- Imbusch, Peter (2002): Der Gewaltbegriff. In: Heitmeyer, Wilhelm/Hagan, John (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden, S. 26-57.
- Kiefl, Walter/Lamnek, Siegfried (1986): Soziologie des Opfers. München.
- Lamnek, Siegfried (2002): Individuelle Rechtfertigungsstrategien von Gewalt. In: In: Heitmeyer, Wilhelm/Hagan, John (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden, S. 1379-1396.
- Peters, Helge (1995): Da werden wir empfindlich. Zur Soziologie der Gewalt. In: Lamnek, Siegfried (Hrsg.): Jugend und Gewalt. Opladen, S. 25-36.
- Popitz, Heinrich (1992): Phänomene der Macht. Tübingen.
- Reemtsma, Jan Phillipp (1996): Das Implantat der Angst. In: Miller; Max/Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.): Modernität und Barbarei. Frenkfurt a. M., S. 28-35.
- Schrey, Heinz-Horst; Gewalt/ Gewaltlosigkeit. I. Ethisch; In: Müller, Gerhard (Hrsg.), TRE; Band 13; Berlin; 1984
- Spiegel, Egon; Gewalt; In: Mette, Norbert/ Rickers, Falkert (Hrsg.), Lexikon der Religionspädagogik, Band 1, Neukirchen-Vluyn; 2001; 705-710
- Trotha, Trutz von (Hrsg.) (1997): Soziologie der Gewalt. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 37. Opladen.
Weblinks
Gewaltdefinition von Wilhelm Heitmeyer