Geschichte Haitis
Haiti ist durch seine sehr wechselvolle und unruhige Geschichte geprägt. Stets stand es im Schatten weltpolitischer Ereignisse und wurde des Öfteren zum Spielball externer Machtinteressen jeglicher Art. Des weitern kämpfen Schwarze und französische Mulatten um die Vorherrschaft. So wundert es nicht, dass seit seiner Unabhängigkeit vor etwa 200 Jahren in Haiti 32 Militärputsche stattgefunden haben.
Präkolumbianische Zeit
Bis 1492 lebten auf Haiti hauptsächlich die indianischen Völker der Siboney, Taínos, Quisqueya und Kariben.
Haiti als Kolonie
Am 5. Dezember 1492 entdeckte Christoph Kolumbus die Insel Aytí, die er La Española (Hispaniola) nannte. Damit begann die spanische Kolonisation. Die herrliche Natur, die prachtvolle Vegetation entzückten die Spanier. Die Insel war damals von einem harmlosen Indianervolk, wahrscheinlich vom Stamm der Kariben, bewohnt, das man auf 1 Mill. Seelen schätzte, und welches unter einer Menge kleiner Häuptlinge oder Kaziken stand. Nach Goldlagerstätten forschend, entdeckte Kolumbus die Häfen von Valparaiso (jetzt Port de Paix), Thomas (jetzt Baid'Acal), Punta Santa (Point Picolet) und errichtete vor seiner Rückkehr nach Europa. in der Nähe des letztern mit Hilfe der Eingebornen aus den Trümmern des gescheiterten Schiffs Santa Maria ein kleines Fort, La Navidad, worin er eine Besatzung von 40 Mann zurückließ. Bei seinem Wiedererscheinen auf Haiti 28. Nov. 1493 fand er das Fort in Trümmern; der Kazike Caonabo hatte, gereizt durch die Gewalttaten und Plünderungszüge der Spanier, das Fort zerstört und die Besatzung niedergemacht. Die Spanier legten hierauf im Osten des Kap Monte Cristo die Stadt Isabella an, von wo aus sie sich in den Besitz der reichen Goldminen von Cibao setzten und zur Sicherung derselben das Fort St. Thomas errichteten. Bald darauf erstand an der Mündung des Flusses Ozama eine neue Stadt und Citadelle, San Domingo, welche die Hauptstadt der Insel wurde und derselben später ihren Namen gab. Die von dem Statthalter Franc. de Bobadilla aufgefundenen und von ihm sowie seinem Nachfolger Ovando ausgebeuteten Goldminen von San Cristoforo lieferten zwar reiche Ausbeute; doch rieb der Betrieb derselben die zu Sklaven gemachten Eingebornen so schnell auf, dass die Zahl derselben schon 1507 auf 60,000 Köpfe vermindert war. Um diese Zeit verpflanzte Pedro d'Atenza das Zuckerrohr von den Kanarischen Inseln nach Haiti, und Gonzalez gab den Impuls zum Plantagenbau. Zur Betreibung desselben ersetzte Ovando die aufgeriebenen Ureinwohner von Haiti durch 40,000 Kariben der Bahamainseln; aber auch diese gingen infolge der anstrengenden Arbeiten bald zu Grunde, worauf Negersklaven aus Afrika eingeführt wurden. Der Rest der Indianer von 4000 Mann behauptete unter dem Kaziken Enrico nach 13jähriger blutiger Fehde 1532 ein kleines besonderes Gebiet zu Boya, 67 Meilen nordöstlich von San Domingo, wo ihre wenig zahlreichen Nachkommen sich noch jetzt unter eignen Kaziken erhalten haben.
Die Insel verlor durch den Untergang der Urbewohner ungemein. Noch nachteiliger für das Gedeihen der Kolonie war der Umstand, dass sich 1630 die französischen und englischen Bukanier oder Flibustier auf dem nahen Eiland Tortuga festsetzten. Zwar wurden sie endlich von da vertrieben, aber ein vorwiegend aus Franzosen bestehender Überrest derselben siedelte sich als Pflanzer auf der menschenleeren Nordküste der Insel Haiti an und wendete sich um Hilfe gegen die Spanier an Frankreich. Dieses sandte denn auch 1661 Dogeron als Gouverneur nach Haiti und gründete im westlichen Teil der Insel 1665 eine französische Kolonie, welche indes 1686 von den Spaniern zerstört wurde. Schon 1691 aber ward eine neue französische Kolonie durch Ducasse gegründet. Im Frieden von Rijswijk verzichtete Spanien 1697 zugunsten Frankreichs auf den westlichen Teil der Insel (Saint-Domingue). Aber es stank. Spanien behielt zwar die größere Osthälfte, aber die Industrie der Franzosen gab ihrem kleinern Anteil bald ein entschiedenes Übergewicht über den spanischen, und in dem langen Frieden, welcher auf den spanischen Erbfolgekrieg folgte, gelangte St. Domingue, wie die Franzofen ihren Anteil nannten, zur höchsten kolonialen Blüte. Mit jedem Jahr stieg die Zahl der Pflanzer und der Sklaven, und der Plantagenbau hob sich ungemein. Nach der Regulierung der Grenze zwischen dem spanischen und dem französischen Anteil 1776 zählte der französische Anteil 28,000 qm und auf diesen 1788: 27,717 Weiße, 21,808 freie Farbige und 405,564 Sklaven, zusammen 455,089 Einw. Der spanische Anteil hatte auf 48,500 qm im J. 1790: 125,000 Einw., darunter nur 15,000 Sklaven.
Im spanischen Anteil wurden die Sklaven sehr mild behandelt, desto härter im französischen. Hier entwickelte sich durch das Missverhältnis zwischen den Weißen und der Überzahl der eingeführten Negersklaven auch der Keim eines Aufstandes. Durch die zur Zeit der französischen Revolution in Paris entstandene Gesellschaft der Freunde der Schwarzen und die englische Gesellschaft zur Abschaffung des Sklavenhandels auf ihre Menschenrechte hingewiesen und von den durch die Revolution unter die weiße Bevölkerung Haitis selbst gebrachten Spaltungen in die großen und kleinen Weißen (Grundbesitzer und Gewerbsleute), die Konstitutionellen und Monarchisten, die Anhänger und Gegner der Kolonialregierung noch mehr aufgeregt, sandten die Farbigen, Mulatten (meist frei, aber den Weißen nicht ebenbürtig) und Neger, schon 1789 eine Gesandtschaft nach Frankreich und erwirkten 1790 einen Beschluss der Nationalversammlung, nach welchem der Kolonie Autonomie zugestanden ward. Der dem gegenüber gefasste Beschluss der Weißen, um keinen Preis ihre politischen Rechte mit einer "entarteten Menschenrasse" zu teilen, brachte die Gärung zum offenen Ausbruch.
Im 23. August 1791 nahmen die Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen Haitis die Postulate der Französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - wörtlich und erhoben sich im Norden der Kolonie. Der Aufstand der Mulatten und Neger in der Umgegend des Kap Francois begann und verbreitete sich unter den gräulichsten Verwüstungen und den blutigsten Metzeleien, denen die vom Mutterland zur Ordnung der Angelegenheiten der Kolonie gesendeten Bevollmächtigten Polverel und Santhonax weder wehren konnten noch wollten, nach der Einnahme von Kap Francois durch die Neger (21-23. Juni 1793) über die ganze Kolonie.
In den folgenden Jahren der Revolutionskriege zwischen Frankreich und Großbritannien schaffte es Toussaint L'Ouverture, in wechselnden Allianzen eine weitgehende Selbstständigkeit der Kolonie zu erkämpfen.
Als 1793 die Spanier und Engländer mehrere Plätze der Kolonie besetzten, verband sich das Negerheer mit den unter General Lavaux zur Behauptung der Insel gelandeten französischen Truppen. Am 22. Juli 1795 wurde zwischen Spanien und Frankreich der so genannte Frieden von Basel beschlossen. Nun wird auch der Ostteil der Insel Frankreich zugeschlagen. Die weißen Kolonisten wurden von den Insurgentengeneralen Rigaud und Toussaint l'Ouverture schließlich (1797) gezwungen, die Insel ganz zu verlassen, worauf das französische Direktorium 4. Febr. 1798 den Negern in den französischen Kolonien völlige Freiheit und gleiche Rechte mit den Weißen bewilligte. Gleichzeitig ward Toussaint l'Ouverture zum Obergeneral aller Truppen auf Haiti ernannt.
Von 1799 bis 1800 tobte der Bürgerkrieg zwischen Schwarzen und Mulatten, in dem letztere unterlagen. Der Schwarzenführer François Dominique Toussaint L'Ouverture (* 1743) wurde französischer Gouverneur.
1801 besetzte Toussaint L'Ouverture den Ostteil der Insel (Santo Domingo); es kam zur Abschaffung der Sklaverei und zur Einführung einer Landreform.
Er versuchte jedoch das Land unabhängig von Frankreich zu machen und gab der Insel 9. Mai 1801 eine eigne zweckmäßige Verfassung. Der Erste Konsul Bonaparte schickte hierauf 1801 den General Leclerc mit 25,000 Mann als Generalkapitän nach Haiti Toussaint widerletzte sich anfangs seiner Landung bei Kap Francois, musste sich jedoch bald ins Innere zurückziehen und sich unterwerfen, worauf er 1802 nach Frankreich geschickt wurde. Am 25. Februar 1801 wurde Santo Domingo besetzten und die Sklaverei wiederherstellten. Toussaint wurde gefangen genommen und nach Frankreich deportiert, wo er am 7. April in der Haft starb.
Geschickte militärische Operationen, eine britische Seeblockade und eine Gelbfieber-Epedemie machten den Interventionstruppen des Bonapartes aber schwer zu schaffen. Da die noch übrigen weißen Pflanzer die Sklaverei wiederherzustellen suchten, brach der Aufstand unter dem Negergeneral Dessalines von neuem aus; die französischen Truppen und ihr Anführer Leclerc selbst wurden durch Krankheiten aufgerieben, und im November 1803 musste Rochambeau mit dem Reste der Franzosen die Insel räumen, auf welcher nun das Regiment der Weißen gänzlich aufhörte.
Unabhängigkeit und Abspaltung der Dominikanischen Republik
Am 1. Januar 1804 proklamierte Jean-Jacques Dessalines (*1760), der sich selbst am 8. Oktober zum Kaiser ernannte (Jacques I.), die Unabhängigkeit von Saint-Domingue. Das Land erhielt den Namen Haiti, die Selbstbezeichnung lautete damals erster freier Negerstaat. Aus dem einzigen erfolgreichen Sklavenaufstand der Weltgeschichte ging damit die erste selbstständige Nation Lateinamerikas hervor.
Er gab 20. Mai 1805 eine neue Verfassung; doch rief seine Grausamkeit schon im folgenden Jahr eine Verschwörung unter dem Neger Heinrich Christophe und dem Mulatten Alexander Pétion hervor, durch welche er gestürzt wurde. Alsbald brach auch die seither durch den gemeinsamen Hass gegen die Weißen in den Hintergrund gedrängte Rivalität zwischen Mulatten und Negern offen aus und blieb fortan das Motiv aller innern Kämpfe des neuen Staats. Pétion, als Haupt der Mulatten, und Christophe, als Haupt der Neger, kämpften miteinander um die Oberherrschaft bis 1808. Neben dem ersten Kaiser wurden die ehemaligen Sklaven Toussaint L'Ouverture und Henri Christophe als Führer des Freiheitskampfes Nationalhelden.
Am selben Tag noch besetzten französische Truppen Santo Domingo im spanischen Ostteil der Insel, wo die Sklaverei wieder eingeführt wurde. Um die Sklavenhaltung in den anderen Staaten zu rechfertigen, wurden mannigfaltige Bemühungen unternommen, Haiti und die Voodoo-Religion zu dämonisieren.
Dessalines ließ in der Zwischenzeit aus der französischen Flagge die Farbe Weiß herausschneiden und Blau mit Rot zu den heutigen haitianischen Nationalfarben zusammennähen. Die meisten der im Lande verbliebenen Franzosen wurden ermordet.
Dessalines warf sich zum Herrn der ganzen Insel auf, ließ sich 8. Okt. 1804 unter dem Namen Jakob I. zum Kaiser ausrufen und gab 20. Mai 1805 eine neue Verfassung; doch rief seine Grausamkeit schon im folgenden Jahr eine Verschwörung unter dem Neger Heinrich Christophe und dem Mulatten Alexander Pétion hervor, durch welche er gestürzt wurde. Alsbald brach auch die seither durch den gemeinsamen Hass gegen die Weißen in den Hintergrund gedrängte Rivalität zwischen Mulatten und Negern offen aus und blieb fortan das Motiv aller innern Kämpfe des neuen Staats. 1805 eroberte Haiti den unter französischer Herrschaft stehenden Ostteil der Insel zurück.
Am 17. Oktober 1806 wurde Dessalines (Jacques I.) auf Veranlassung von Henri Christophe ermordet. Das Land spaltete sich in eine südliche Mulatten-Republik und in einen nördlichen, von verschiedenen rein schwarzen Kaisern regierten Staat. 1807 wurde Henri Christophe (1767-1820) zum Präsidenten ernannt.
Pétion, als Haupt der Mulatten, und Christophe, als Haupt der Neger, kämpften miteinander um die Oberherrschaft bis 1808.
Das Resultat dieses Kampfes während dessen die Spanier 1808 ihren Anteil an der Insel wiedereroberten, war eine Trennung der französischen Hälfte der Insel in eine Mulattenrepublik, mit Pétion als Präsidenten, im Süden und in den Negerstaat Haiti im Norden, mit Christophe als Präsidenten. Beide Staaten trennte ein zehn Stunden breiter Landstrich, den man absichtlich unbebaut ließ, und der bald, von Lianen und Dorngesträuch überdeckt, eine natürliche Scheidemauer bildete. 1811 verwandelte Christophe den nördlichen Staat in eine erbliche Monarchie und ließ sich unter dem Namen Heinrich I. zum Kaiser krönen. Auf dem 945 Meter hohen Pic La Fernere ließ er von über 200.000 Zwangsarbeitern die mächtigste Festung außerhalb Europas errichten. Zugleich erschien ein neues Staatsgesetzbuch (Code Henri) und ein von den komischen Titeln, Hof- und Staatsämtern strotzender Staatskalender; auch andre Einrichtungen der europäischen Überbildung wurden auf lächerliche Weise nachgeahmt und namentlich der Hofstaat nach französischem Muster eingerichtet.
Die Sklaverei blieb im Grunde die alte, nur trat an die Stelle der Peitsche der Säbel. Zwischen beiden Staaten herrschte unversöhnliche Feindschaft, und nur in der Zurückweisung der nach dem Wiener Kongress erneuerten Ansprüche Frankreichs waren sie einig. Pétion gab 2. Juni 1816 der Republik eine Verfassung, welche Abschaffung aller Sklaverei, Pressfreiheit etc. festsetzte. Nach Petions Tod 27. März 1818 versuchte Heinrich die Mulattenrepublik mit seinem Kaisertum zu vereinigen; allein der Mulatte, General Jean Pierre Boyer, der hier als Präsident Nachfolger Pétions geworden war, wusste diesen Versuch zu vereiteln. Heinrich selbst, welchen ein Aufruhr republikanisch gesinnter Mulatten in seinem Reich zu Grausamkeiten gereizt hatte, wurde immer verhasster, und im September 1820 brach ein Ausstand gegen ihn aus, der bald allgemein wurde und selbst den Abfall der Truppen zur Folge hatte, worauf der Negerkaiser sich 8. Okt. 1820 erschoss. Hierauf fand, da sich das Heer dem Präsidenten Boyer unterwarf.
26. Nov. 1820 die Vereinigung beider Teile des französischen Haiti zu einer einzigen Republik statt, welcher sich 1822 auch der spanische Anteil der Insel anschloss, der sich 1821 wieder von Spanien losgesagt hatte. Die Republik wurde in der Folge von den meisten Staaten anerkannt, nach mehreren vergeblichen Wiedereroberungsversuchen 1825 selbst von Frankreich gegen eine an die ehemaligen Plantagenbesitzer zu zahlende Entschädigung von 150 Mill. Frank, die jedoch 1838 bei Gelegenheit des Abschlusses eines Handelsvertrags zwischen Frankreich und Haiti auf 60 Mill., in 30 Terminen bis 1867 zahlbar, herabgesetzt ward. Am 8. Februar 1822 besetzte Haitis Präsident Jean-Pierre Boyer Santo Domingo. Seit 1822 regierte Boyer als lebenslänglicher Präsident nach der Verfassung vom 2. Juni 1816, doch unter beständigem Zerwürfnis mit dem Repräsentantenhaus. Es kam zum Anschluss an Haiti und zur Abschaffung der Sklaverei.
Im Jahre 1825 kam es schließlich zur Anerkennung der Unabhängigkeit Haitis durch Frankreich unter Zahlung einer horrenden Entschädigung, welche die haitianische Wirtschaft für Jahrzehnte ruinierte und im Osten des Landes zu Widerstand führte.
Im Frühjahr 1842 wurde Haiti von einem furchtbaren Erdbeben heimgesucht, das einige Städte fast vernichtete; besonders hart wurde die Stadt Le Cap Haiti betroffen. Boyer ward 1843 durch eine von den Mulatten Dumesle und Rivière geleitete Verschwörung gestürzt, schiffte sich nach Europa ein und. starb 1850 in Paris. Die siegreichen Parteihäupter teilten darauf die Stellen unter sich. Widerstand zeigte sich nur in dem spanischen Anteil, weshalb Herard Rivière eilig mit Truppen dahin abging, die vornehmsten Einwohner von San Domingo gefangen setzte und eine Besatzung unter seinem Bruder, dem Obersten Leo Herard, zurückließ. Aber kaum hatte Herard Rivière, nachdem eine neue Verfassung eingeführt worden, als Präsident das Staatsruder übernommen, als im August 1843 im Osten ein offener Aufstand ausbrach. Am 27. Februar 1844 trennte sich der Ostteil der Republik, Santo Domingo, vom westlichen Landesteil (Haiti) und proklamierte als Dominikanische Republik seine Unabhängigkeit.
Rivière sprach hierauf über den Osten den Blockadezustand aus, rief die Nationalgarde zu den Waffen, und schon 10. März 1844 brachen zwei Heere, 20.000 Mann stark, nach Osten auf; doch ward die eine Kolonne, unter Pierrot, einem schwarzen General, schon auf dem Marsch von Pimentel bei Seybo geschlagen, und. auch die zweite, unter Rivière selbst, erlitt 9. April bei Santiago eine Schlappe. Nun empörten sich in Haiti die Neger gegen die Mulatten. Um zu retten, was noch zu retten war, willigten diese ein, dass ein Schwarzer, Guerrier, zum Präsidenten gewählt werde, zumal dieser bei seinem hohen Alter und seiner unmäßigen Neigung zum Trunk Hoffnung gab, dass die wirkliche Leitung der Geschäfte nach wie vor in den Händen der Farbigen bleiben werde. Wirklich wurde Guerrier schon Anfang 1845 ein Opfer seiner Trunksucht. Unter seinem Nachfolger Pierrot machten die Mulatten. einen Versuch, ihren alten Einfluss wiederzugewinnen, und veranlaßten 25. Sept. 1845 zu Leogane einen Aufstand zugunsten der Zurückberufung Rivières. Die Bewegung ward jedoch sofort unterdrückt, und die Mulatten sahen sich nun blutigen Verfolgungen ausgesetzt. Der Haß der Schwarzen äußerte sich unter anderem in einem Gesetz, das jede Ehe zwischen Weißen und Schwarzen verbot. Als sich Anfang 1846 der Volksunwille gegen den Präsidenten Pierrot wendete, gab dieser seine Sache sofort auf und trat in den Privatstand zurück. Der durch diese Revolution 28. Febr. 1846 auf den Stuhl gehobene Präsident war General Jean Bapt. Riché. Die Verfassung von 1843 wurde durch die vom 14. Nov. 1846 ersetzt, welche im Wesentlichen die von 1816 war. Der Präsident, ein fast 70jähriger Mann, aber noch von hoher Thatkraft, stellte in kurzer Zeit den Frieden auf der Insel wieder her, vermehrte die Hilfsquellen des Landes und ließ sich die Zivilisierung des haitischen Volkes angelegen sein. Zu früh für Haiti starb er 27. Febr. 1847.
Der als sein Nachfolger proklamierte Genera Fausti Soulouque versprach zwar in einem Erlass vom 3. März, das frühere Ministerium beizubehalten und die Politik feines Vorgängers fortzusetzen, begann aber seine Regierung mit einem Ministerwechsel, der die rohsten und den Weißen feindlichsten Schwarzen an das Ruder brachte, und mit Vorbereitungen zu einem Kriege gegen die Nachbarrepublik. Soulouque machte im März 1849 einen Einfall in San Domingo; in des in der Schlacht bei Savanna Numero 22. April 1849 behaupteten die Dominicanos unter General Santana nach einem fürchterlichen Gemetzel das Feld. Soulouques Heer löste sich auf, und Santana würde dem westlichen Staat ein völliges Ende gemacht haben, wenn ihn nicht ein Aufstand nach San Domingo zurückgerufen hätte. Bei seiner Rückkehr aus dem unglücklichen Feldzug führte Soulouque feinen ehr geizigen Plan aus, indem er sich 26. Aug. 1849 zu Port au Prince zum Kaiser ausrufen ließ und sich in der Kathedrale selbst die Krone aufsetzte. Als Kaiser Faustin I. ordnete er nun sein Reich ganz nach Napoleonischem Vorbild und umgab sich mit einer glänzenden Kaisergarde. Das Ausland reizte er durch Monopolisierung von Zucker und Kaffee, zeitweilige Sperrung der Häfen gegen fremde Schiffe und hohe Steuern, die er den auswärtigen Kaufleuten auflegte. Nur den energischen Vorstellungen der Konsuln von England, Nordamerika und Frankreich gelang es endlich im Sommer 1850, die Aufhebung dieser Monopolisierung zu erwirken; doch trat an deren Stelle ein erhöhter Ausgangszoll auf Kaffee und andre Hauptausfuhrartikel. Im Innern herrschte der Kaiser willkürlich und grausam. Am 30. Sept. 1850 begann er abermals die Feindseligkeiten gegen San Domingo. Allein das Landheer des Kaisers erlitt 9. Okt. in den Bergen von Banica wiederum eine bedeutende Niederlage. Anfang 1851 geboten endlich England, Frankreich und die Vereinigten Staaten die Einstellung der Feindseligkeiten. Neue Eroberungspläne Faustins auf San Domingo, trotz der Protestaktionen Frankreichs und Englands im Dezember 1855 ins Werk gesetzt, scheiterten aber so kläglich wie die frühern. In der Savanne von San Tome ward das 18,000 Mann starke, teils unter Faustins, teils unter des Generals Geffrard Kommando stehende Heer 22. Dez. gänzlich geschlagen; der Kaiser selbst eröffnete die Flucht der Seinen und überließ die kaiserliche Kasse samt sämtlicher Bagage etc. dem Feind. Er ließ hierauf drei Generale und mehrere Offiziere angeblich wegen Einverständnisses mit den Dominicanos erschießen, sammelte die Reste seines Heers, erlitt aber mit 10-12,000 Mann in der "großen Savanne" (Sabanalarga) 24. Jan. 1856 eine zweite entscheidende Niederlage. Zwar verkündete er unmittelbar nach seiner Rückkehr durch eine Proklamation, dass der Krieg gegen San Domingo nur vorläufig aufgeschoben sei; doch führten die Vermittelungen Englands und Frankreichs sowie die kühne Haltung der Dominicanos noch in demselben Jahr zum Abschluss eines dreijährigen Waffenstillstandes.
Inzwischen erfolgte Faustins Sturz. Eifersüchtig auf das Ansehen, das sein General Geffrard bei den Truppen genoss, hatte er bereits dessen Verhaftung und Hinrichtung angeordnet, als dieser, noch rechtzeitig gewarnt, 21. Dez. 1858 nach Gonaives entkam und hier von den Truppen des Distrikts Artibonite zum Präsidenten von Haiti ausgerufen ward. Faustins Regierung war so verhasst, dass Geffrard schon 15. Jan. 1859 ohne Widerstand in Port au Prince einziehen und die Präsidentschaft übernehmen konnte. Er schützte den nach Jamaica abziehenden Exkaiser vor der Volkswut und nahm auch sonst keine politischen Verfolgungen vor. Intelligent und tätig, begünstigte er Künste und Wissenschaften und übte volle bürgerliche und religiöse Duldung, rief aber eben hierdurch beständige Opposition von Seiten der Neger alten Schlags hervor. Die Armee wurde verringert, der frühere liberale Zolltarif wiederhergestellt und eine Flotte gegründet. Mehrere Revolten wurden niedergeworfen, namentlich 1865 mit Hilfe Englands auch die der Partei der sogen. Lizards ("Eidechsen") unter dem Rittmeister Salnave, der dennoch 1867 Geffrard stürzte und auf vier Jahre zum Präsidenten gewählt wurde, worauf eine neue Verfassung der Republik verkündet wurde. Aber schon 1868 erhob sich die Partei der Cacos ("Papageien", welche die Lizards fressen) unter General Nissage Saget gegen die Partei Salnaves; Saget siegte nach zweijährigen Kämpfen, eroberte 1869 Port au Prince und ließ 1870 Salnave erschießen. Saget wurde darauf auf vier Jahre zum Präsidenten der Republik erwählt; ihm folgte 1874 General Michel Domingue. Da dieser und sein Neffe, der Vizepräsident Rameau, durch Habsucht und Erpressungen allgemeine Unzufriedenheit erregten, so kam es 1876 zu einem Aufstand, infolge dessen 19. Juli 1876 das Haupt der Nationalen, General Boisrond Canal, zum Präsidenten erwählt wurde. Doch schon im Juli 1879 wurde Boisrond Canal, dessen Regierung keine glückliche war, durch die Gegenpartei der Liberalen nach einem blutigen Straßenkampf in Port au Prince, bei dem ein großer Teil der Stadt in Flammen aufging, gestürzt und General Salomon zum Präsidenten erhoben. Ein Ausstand unter Salomons Rival Boyer Bazelais, welcher 1883 in Miragoane ausbrach, wurde nach hartnäckigen Kämpfen Ende d. J. unterdrückt.
Die Intervention der USA 1915 bis 1934
Am 28. Juli 1915, unmittelbar nachdem eine Menschenmenge Präsident Vilbrun Guillaume Sam gelyncht hatte, wurde Haiti durch die USA besetzt. Offizielles Ziel der Intervention war es, die öffentliche Ordnung in dem von inneren Konflikten zerrissenen Land wieder herzustellen.
Nach Ansicht von Historikern richtete sie sich aber auch gegen den deutschen Einfluss in Haiti. Deutsche Einwanderer dominierten damals die Wirtschaft des Landes und in Washington fürchtete man, dass das Deutsche Reich Flottenstützpunkte in der Karibik-Republik einrichten könnte. 1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, wurde Haiti gezwungen Deutschland den Krieg zu erklären, womit der Weg zur Enteignung der Deutschen frei war.
Die amerikanische Besatzung dauerte 19 Jahre und war für Haiti in vieler Hinsicht traumatisch. Zwar bauten die Amerikaner Straßen, Krankenhäuser und Telefonanlagen. Doch mit ihrem rassistischen Hochmut gegen Schwarze und Mulatten demütigten sie die Haitianer zutiefst. Die Besatzer verpflichteten für ihre Straßenprojekte Bauern zur Zwangsarbeit und ihr Kampf gegen die "Caco"-Rebellen forderte tausende Menschenleben. Der Voodoo wurde als "Satanskult" unterdrückt.
Der Zweite Weltkrieg
Während des Zweiten Weltkieges erklärte Haiti dem Deutschen Reich am 12. Dezember 1941 den Krieg. Mit dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten am Tag zuvor wurden auch zahlreiche Staaten Mittelamerikas, die durch Bündnisse mit den USA verbunden waren, in den Krieg hineingezogen, der sich somit endgültig zu einem Weltkrieg ausweitete. Noch am Tag der deutschen Kriegserklärung an die Regierung in Washington erklärten die Staatschefs von Costa Rica, Guatemala und der Dominikanischen Republik den Achsenmächten den Krieg; Kuba, Nicaragua, Haiti, Honduras und El Salvador folgten am nächsten Tag.
Die Duvalier-Diktatur
1957 wurde der Arzt François Duvalier, genannt Papa Doc mit Hilfe des Militärs zum Präsidenten gewählt und brachte so sich und seinen Familienclan in die Schlüsselpositionen des Staates. Er entmachtete systematisch die mulattische Elite. Nach seinem Tod 1971 trat sein Sohn Jean-Claude Duvalier, genannt Baby Doc, seine Nachfolge an und ließ sich als Präsident auf Lebenszeit bestätigen. Im Jahr 1984 kam es zu ersten Unruhen. Zwei Jahre später wurde das Kriegsrecht ausgerufen. Jean-Claude Duvalier wurde im weiteren Verlauf abgesetzt und ging ins französische Exil.
Die Zeit des Übergangs von 1986 bis Aristide
Nach Baby Docs Absetzung und Flucht begann die Zeit des Übergangs mit weiteren Versuchen eine stabile Republik zu bilden. Das Einkammerparlament mit 59 Sitzen wurde aufgelöst. Am 21. März 1986 ernannte sich General Henri Namphy zum Präsidenten. Am 19. Oktober 1986 wurde bei einer nur fünfprozentigen Beteiligung eine verfassungsgebende Versammlung gewählt, die für 1987 eine Präsidialrepublik mit einer entsprechenden Verfassung vorbereiten sollte. Am 29. März 1987 erfolgte mit großer Mehrheit die Annahme der neuen Verfassung durch das Volk.
Es wurde ein Abgeordnetenhaus mit 83 Mitgliedern, das alle vier Jahre gewählt wird, und ein Senat mit 27 Mitgliedern, der alle sechs Jahre gewählt wird, installiert. Alle fünf Jahre sollte das Staatsoberhaupt direkt gewählt werden.
Im November 1987 mussten die Wahlen zum Parlament abgebrochen werden, da die immer noch zahlreichen Anhänger von Duvalier wahlwillige Bürger bedrohten und sogar ermordeten.
Leslie Manigat wurde dann im Januar 1988 als Präsident gewählt, aber schon im Juni vom Militär wieder entmachtet. Der heutige Ministerpräsident Gerard Latortue war übrigens Außenminister im Kabinett. Nachdem General Namphy eine nur aus Millitärs bestehende Regierung ernannte, erfolgte drei Monate später schon der nächste Putsch, diesmal durch Generalleutnant Avril.
Im Jahr 1990 stürzte General Hérard Abraham den Diktator Proper Avril und übergab die Macht an Zivilisten um so dem Weg für freie Wahlen zu ebnen.
Die Amtszeit von Jean Bertrand Aristide
In diesen Wahlen gewann Jean Bertrand Aristide 1990 die Präsidentenwahlen, wurde aber bereits 1991 durch einen Armeeputsch gestürzt. General Raoul Cédras übernahm die Macht. Es folgten drei düstere Jahre für das Land. Mißwirtschaft, Terror und Korruption bestimmten den Alltag der Bürger, eine Flüchtlichswelle zum US-Militärstützpunkt Guantanamo in Kuba setzte ein. Trotz verschiedenster Wechsel auf der Position des Ministerpräsidenten verbesserte sich die Lage nicht, im Gegenteil. Nun wurden Wirtschaftssanktionen verhängt und der internationale Druck stieg.
Am 19. September 1994 intervenierte die USA in Haiti nach 1915 ein zweites Mal in der Geschichte und setzte Jean Bertrand Aristide wieder ins Präsidentenamt ein. Er löste zu Beginn des Jahres 1995 das Militär auf, stärkte aber im Gegenzug den Polizeiapparat (Chimeres). Der spätere Rebellenführer und Gegenspieler Guy Philippe kehrte aus Ecuador in seine Heimat zurück und stieg im neu geschaffenen Polizeiapparat schnell auf. 1995 wurde er dann zum Polizeichef von Cap Haitien. Ein weiteres Ziehkind von Aristide, René Préval, wurde zum Präsidenten ernannt.
Am 31. März 1995 wurde Haiti unter ein UNO-Mandat gestellt, das Ende 1997 wieder auslief. Während dieser Zeit funktionierte das öffentliche Leben einigermaßen.
Nachdem im Januar 2000 die Interventionstruppen der USA das Land verließen, fand vier Monate später umstrittene Parlamentswahlen statt. Es gewinnt die Partei Aristides (Lavalas(kreolisch f. Lawine)-Familie) die Mehrheit der Parlamentssitze. Die internationale Hilfe für Haiti wird eingestellt.
Nachdem am 26. November 2000 Jean-Bertrand Aristide mit 91,8% der Stimmen erneut zum Präsidenten gewählt wird, wurden Vorwürfe laute, dass diese Wahl manipuliert sei. Aristide trat sein Amt am 7. Februar 2001 an. Im November 2002 nahm die Zahl der Protestkundgebungen gegen Aristide weiter zu, der Ruf nach Rücktritt wurde lauter. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen zwischen Aristide-Gegnern und regierungstreuen Demonstranten.
Gegen Aristide gerichtete Aufstände, vor allem der "Revolutionären Widerstandsfront des Artibonite" (FRRA), brachten das Land Anfang Februar an den Rand eines Bürgerkrieges. Am 5. Februar 2004 hatten die Aufständischen unter ihrem Anführer Butteur Métayer in der Stadt Goniaves (160 Kilometer nordwestlich von Port-au-Prince) die Macht übernommen.
Nachdem am 14. Februar 2004 die früheren Putschisten Louis-Jodel Chamblain und Guy Philippe aus ihrem Exil in der Dominikanischen Republik zurückgekehrt waren, schlossen diese sich dem Aufstand an. Die Rebellen eroberten daraufhin in den folgenden Tagen zahlreiche Städte und Orte im Norden der Karibikrepublik.
Schließlich erreichten die Truppen Ende Februar Port-au-Prince. Nun gab der amtierende Präsident Jean-Bertrand Aristide dem Druck der Rebellen und der USA nach, die ihn bis dahin unterstützt hatten, und verließ das Land am 29. Februar 2004 (kurioserweise der Geburtstag von Guy Philippe) mit zunächst unbekanntem Ziel. Nach Aristides Flucht übernahm der Oberste Richter Boniface Alexandre die Amtsgeschäfte des Staatsoberhaupts in der Hauptstadt. Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen waren bis Anfang März 2004 mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen.
Am 4. März 2004 kündigte der Anführer der Rebellen Guy Philippe an, ihre Waffen niederzulegen, was er dann später wieder relativierte.
In der Hauptstadt Port-au-Prince demonstrierten am selben Tag tausende von Menschen für die Rückkehr von Aristide. Am 7. März 2004 schossen unbekannte Täter auf friedliche Demonstranten und töteten mindestens sechs Menschen. Erstmals seit Beginn der Unruhen kam auch ein ausländischer Journalist ums Leben.
Am 9. März 2004 teilte ein Rechtsanwalt von Aristide mit, dass man die USA und Frankreich wegen Entführung verklagen will. Der konkrete Vorwurf lautete, die Regierung von US-Präsident George W. Bush habe Aristide aus Haiti entfernen wollen und Frankreich habe im Verstoß gegen internationales Recht dabei geholfen.
Unterstützung erhielt Aristide am 9. März 2004 jetzt auch von der Afrikanischen Union (AU) und der Gemeinschaft der Karibikstaaten. Die 53 Staaten umfassende AU erklärte an ihrem Hauptsitz Addis Abeba, die Entfernung Aristides aus seinem Amt sei verfassungswidrig. Dabei gehe es nicht um Personen, sondern um die Grundsätze der Demokratie. Außerdem forderte die aus 15 Staaten bestehende Karibische Gemeinschaft eine internationale Untersuchung der Entführungsvorwürfe. Aristides Anwalt hatte vorher erklärt, dass man auch Beschwerde bei den Vereinten Nationen einlegen wolle, wenn man die Unterstützung einiger afrikanischer Staaten bekomme.
Weiterhin rief Aristide zum Widerstand gegen die seiner Meinung nach inakzeptable Besatzung auf. So sagte er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt: Ich bin der demokratisch gewählte Präsident und bleibe es auch.
Die Ankündigung südafrikanischer Regierungsvertreter vom 5. März 2004, der Aufenthalt Aristides in der Zentralafrikanischen Republik sei nur vorübergehender Natur bestätigte sich acht Tage später. Jamaika gewährte am 13. März 2004 dem Ex-Präsidenten ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht. Die neue Regierung zeigte sich darüber besorgt, könne doch eine solche Nähe Aristides zu Haiti weitere Unruhen schüren. Als weitere Reaktion auf diesen Vorgang berief die neue Regierung am 15. März 2004 ihren Botschafter von der jamaikanischen Nachbarinsel Jamaika ab und fror die Beziehungen zu dem Staat ein. Jamaikas Premierminister Percival J. Patterson versicherte jedoch, dass er Aristide ausschließlich aus "humanitären Gründen" einreisen lasse, bevor ein endgültiges Exilland außerhalb der Region für ihn gefunden werde. Er müsse sich jeglicher politischer Betätigung enthalten.
Der 22. März 2004 brachte eine neue Wendung der Exilfrage. Nigeria will dem gestürzten nun Asyl gewähren. Man sei dazu vorübergehend bereit, teilte das Präsidentenamt in der nigerianischen Hauptstadt Abuja am mit.
Am 1. April 2004 kündigte die haitianische Übergangsregierung an, eine unabhängige Kommission zur Untersuchung von Korruptionsvorwürfen gegen den gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide einrichten. Das Gremium solle alle Verstöße auflisten, um dann formell seine Auslieferung zu beantragen.
Nachdem die Gemeinschaft der karibischen Staaten (Caricom - Caribbean Community) Südafrika am 10. Mai 2004 offiziell darum gebeten hat den entmachteten Staatschef einreisen zu lassen, hat die südafrikanische Regierung am 13. Mai 2004 bekanntgegeben, dass sie nach Rücksprache mit den Regierungen von Frankreich und den USA, Aristid zeitweilig aufnehmen wird.
Am 30. Mai 2004 brach er von Kingston, der jamaikanischen Hauptstadt, zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern ins Exil nach Südafrika auf. Dort wurde er am 31. Mai von Präsident Thabo Mbeki begrüßt. Nach eigenen Angaben will er sich nur vorübergehend in Südafrika aufhalten, bis sich die Lage in Haiti wieder beruhigt hat. Er sieht sich immer noch als rechtmäßiger Präsident des Landes.
Brasilianische Regierungsvertreter teilten am 4. März 2004 mit, dass sie sich, wenn gewünscht, mit 1.100 Soldaten an einer UN-Truppe für Haiti beteiligen könnten. Brasilien ist damit das erste Land, das ein solches Angebot unterbreitet. Und tatsächlich, am 9. April 2004 teilte der brasilianische Verteidigungsminister José Viegas mit, dass Brasilien im Juli 2004 die Führung der neuen UN-Friedenstruppen in Haiti übernehmen wird. Das südamerikanische Land werde dazu 1.470 Soldaten von Heer, Marine und Luftwaffe in die Karibik-Republik schicken. Viegas legte Wert auf die Klarstellung, dass der militärische Einsatz der Brasilianer in Haiti ganz anderer Natur sei als jener der USA in Irak.
In Port-au-Prince traf am 17. März 2004 ein erstes 170 Mann starkes kanadisches Kontingent der offiziellen internationalen Friedenstruppe ein, welches die Eingreiftruppen ablösen soll. An der auf 90 Tage ausgelegten Mission beteiligen sich auch die USA, Frankreich und Chile, die bereits Truppen außerhalb des Mandates entsandt hatten.
Französische Soldaten rückten am 19. März 2004 von der Hauptstadt Port-au-Prince aus in den Norden des Landes aus, der bisher von den Rebellen gehalten wurde. Ein Konvoi von 150 Mitgliedern der französischen Fremdenlegion erreichte die Stadt Gonaives, 250 Soldaten nahmen in der Hafenstadt Cap-Haitien ihre Positionen ein. In beiden Städten haben sich die Rebellen nur dann zur Niederlegung ihrer Waffen bereit erklärt, wenn die Anhänger Aristides gleichziehen. Rebellenführer Butteur Metayer sagte in Gonaives, man werde den einrückenden Franzosen alle Gewehre aushändigen, mit denen man in den letzten Wochen gekämpft habe.
Am 1. Mai 2004 erteilte der UN-Sicherheitsrat offiziell das Mandat für den Einsatz von 6700 Blauhelmen und 1200 Zivilpolizisten. Die UN-Soldaten werden die zur Zeit in Haiti stationierte multinationale Truppe unter US-Führung im Juni ablösen.
Bei der Regierungsbildung solle nach Willen von Latortue auch der gemeinsam mit ihm nach Haiti zurückgekehrte frühere General Hérard Abraham eine führende Rolle spielen, sagte Latortue. Abraham hatte 1990 nach dem Sturz des Diktators Prosper Avril die Macht an Zivilisten übergeben und den Weg für die ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes geebnet.
Latortue löst damit seinen Vorgänger Yvon Neptune ab, der noch die alte Regierung unter dem gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide geführt hatte. Präsident Alexandre rief seine Landsleute derweil zur Versöhnung auf. Bei seiner Amtseinführungszeremonie bedankte er sich ausdrücklich bei der internationalen Gemeinschaft für deren Hilfe. Dieses Ziel verfolgt er der neue Minsterpräsident, der sich am 12. März 2004 bereits mit Vertretern der Aristide-Partei Lavalas traf, um seinem Ziel der nationalen Versöhnung mit der Einbindung aller relevanten Kräfte des Landes näher zu kommen.
Am 17. März 2004 wurde das neue Kabinett vorgestellt, zu diesem Zweck traf sich im Vorfeld der Ministerpräsident mit Vertretern aller Seiten zu einem Gespräch. Latortue ernannte 13 neue Minister, jedoch kein Mitglied der Lavalas-Partei des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide wurde berücksichtigt. Latortues Vorgänger Yvon Neptune warnte deshalb vor einer weiteren Polarisierung in Haiti.
Am 6. April 2004 einigte sich die Übergangsregierung schließlich endgültig auf einen Fahrplan für Neuwahlen. Der neue Präsident soll sein Amt dann am 7. Februar 2005 antreten, zuerst hatte man Ende 2004 die Wahlen geplant.
Nachdem Latortue dieser Forderung Folge leistete und Herald Abraham in das Amt berief, gab der neue Innenminister am 18. März 2004 sogleich bekannt, wieder eine Armee aufstellen zu wollen. Aristide hatte diese Anfang 1995 aufgelöst.
Venezuelas Präsident Hugo Chavez kündigte am 18. März 2004 jedoch an, die neue Regierung Haitis nicht anzuerkennen, und bot Aristide ebenfalls Asyl an. Auch Jamaikas Premier P. J. Patterson betrachtet Aristide, der dort zu Gast ist, weiter als legitimen Präsidenten.
Das Pentagon erklärte am 11. März 2004, man werde die Mission zur Befriedung Haitis ausweiten. Man plant ein rasches Handeln der im Land stationierten Marineinfanteristen, um die Gewalt unter der Bevölkerung zu stoppen. Diese ging auch zwei Wochen nach der Flucht von Aristide weiter. In Port-au-Prince kam es wieder zu Schießereien zwischen Anhängern des Ex-Präsidenten und Sicherheitskräften. Zuvor wurde eine Demonstration für Aristide mit Tränengas aufgelöst.
Menschenrechtsgruppen kritisierten Ende März 2004 die schlechte Sicherheitslage im Norden Haitis. Die Organisation Human Rights Watch erklärte, Anhänger des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide und Journalisten, die auf seiner Seite gestanden hätten, würden unerlaubt von Kämpfern festgehalten. Die Leiterin der Organisation, Joanne Mariner, forderte eine Ausweitung des Einsatzes internationaler Truppen.
Schwere Vorwürfe artikulierte die Organisation auch an die Rebellen. Sie werden verdächtigt, nach ihrer Eroberung der Stadt Cap Haitien im Februar Menschen außergerichtlich hingerichtet zu haben. Die Menschen seien getötet und mit Zementblöcken sowie Metall beschwert ins Wasser geworfen worden.
Nach einer ersten Kabinettssitzung der neuen Regierung am 24. März 2004 erwägt man nach dem Vorbild Südafrikas eine Wahrheitskommission einzurichten, um Gewalttäter aus der Vergangenheit zur Rechenschaft zu ziehen. Am 6. April 2004 wurde der frühere haitianische Innenminister Jocelerme Privert verhaftet. Der Politiker wird für ein Massaker an Oppositionellen während der Unruhen im Februar 2004 verantwortlich gemacht.
Die Lage im Norden Haitis verschlechtert sich unterdessen nach Angaben von Hilfsorganisationen täglich. Viele Orte dort hätten wegen der unsicheren Lage schon seit Wochen nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt werden können. Babys sind nach Angaben von Ärzten die ersten Opfer. Zehn sollen in Monat März 2004 bereits wegen Unernährung und Flüssigkeitsmangel gestorben sein.Die Revolution 2004
Der Sturz von Jean Bertrand Aristide
Am 200. Unabhängigkeitstag am 1. Januar 2004 kam es zu schweren Unruhen in Haiti, die mit Schüssen gegen den Präsidenten Jean Bertrand Aristide und seinen südafrikanischen Amtskollegen Thabo Mbeki in der Stadt Gonaives begannen. Haitianische Polizisten und südafrikanische Sicherheitsleute erwiderten das Feuer. Im ganzen Land kam es daraufhin zu Zusammenstößen zwischen Regierungsgegnern und den Sicherheitskräften.Jean Bertrand Aristide im Exil
Von seinem Exilort in Bangui, Zentralafrikanische Republik aus warf Aristide am 1. März 2004 den USA vor, ihn gegen seinen Willen aus dem Land gebracht zu haben. Die US-Regierung dementierte umgehend; man sei lediglich bei der Flucht ins Ausland behilflich gewesen, hieß es weiter.Ausländische Truppenpräsenz
Die USA, Frankreich und Chile entsandten am 29. Februar 2004, also noch am selben Tag, an dem Aristide das Land verlassen hat, erste Truppen nach Haiti. Insgesamt befanden sich im März 2004 1.600 US-Soldaten, 800 französische und 130 chilenische Soldaten im Land.Bildung einer Übergangsregierung nach Aristide
Die Bemühungen um die Bildung einer neuen Regierung kamen am 5. März 2004 weiter voran. Es wurde eine Wahlkomission gebildet, die dem neuen, am 8. März 2004 vereidigten Übergangspräsidenten Boniface Alexandre einen neuen Premierminister vorschlagen soll. Am 9. März 2004 schlug die Kommission den Juristen und Wirtschaftsexperten Gerard Latortue als neuen Ministerpräsident vor. Er nahm die Berufung an und kehrte einen Tag später aus seinem Exil in Florida nach Haiti zurück. Am 12. März 2004 wurde er vereidigt und trat damit offiziell sein Amt an. Hauptaufgabe seiner Regierung wird es sein, freie Wahlen zu organisieren.Die wichtigsten Politiker der neuen Übergangsregierung im Überblick
Die Rolle des Militärs nach Aristide
Nach der Nominierung des neuen Ministerpräsidenten Gerard Latortue durch den Rat der Weisen warf der ehemalige Oberst Himler Rebu der Kommission vor, man hätte einen taktischen Fehler begangen, sich nicht für Herard Abraham zu entscheiden. Abraham war der ehemalige Oberbefehlshaber der haitianischen Armee. Die unmittelbare Priorität müsse sein, bewaffnete Unruhen zu vermeiden, und dafür sei Abraham der bessere Mann. Rebu, in den späten achtziger Jahren selber Putschführer, plädierte für eine starke Persönlichkeit, die nun das Amt des Verteidigungs- und Innenministers besetzen müsse.Status der Auslandsbeziehungen nach der Revolution
Der direkte Nachbar Dominikanische Republik
Die Streitkräfte des Nachbarlandes Dominikanische Republik kündigten nach den Ereignissen eine Verstärkung ihres Einsatzes an der Grenze an. Dies habe Staatspräsident Hipolito Mejía aufgrund von Berichten angeordnet, wonach die haitianischen Rebellen mehr als 3000 Gefangene befreit hätten.
Am 12. März 2004 nahmen haitianische Rebellen 36 Geschäftsleute aus der Dominikanischen Republik als Geiseln, um einen Kumpanen aus dem Gefängnis freizupressen. Die Entführer drohten damit, die Verschleppten zu töten, falls der Haitianer nicht freikomme.Die Beziehungen zur Weltgemeinschaft
Im März 2004 wird mit Dominique de Villepin erstmals seit dem Ende der französischen Kolonialherrschaft in dem Karibikstaat vor 200 Jahren ein französischer Außenminister das Land besuchen.Die Beziehungen zur Karibischen Gemeinschaft CARICOM
Nach der Verurteilung des Sturzes von Aristide durch die Karibische Gemeinschaft CARICOM am 1. März 2004 setzte Latortue die Mitgliedschaft Haitis in dem Staatenbündnis CARICOM aus. Der Vorsitzende der CARICOM Patterson hatte zuvor Aristide in Jamaika Asyl angeboten. Nun erwägen die Mitgliedstaaten des Bündnis aus Protest gegen den von USA unterstützten Regierungswechsel ihrerseits die Suspendierung der Mitgliedschaft des Landes in der Organisation. Ein geplantes Treffen mit dem neuen Ministerpräsidenten Gerard Latortue am 24. März 2004 wurde abgesagt. Am 26. März 2004 beschloss der Karibikgipfel in St. Kitts einstimmig, die neue Regierung nicht anzuerkennen.Die Beziehungen zu den USA
Die Übergangsregierung wird definitiv von den USA unterstützt. Bei einem Besuch des US-Außenministers Collin Powell Anfang April 2004 vereinbarte man, ein mehrköpfiges Expertenteam nach Haiti entsenden, das die Übergangsregierung beraten soll. Zudem stellt Washington rund 50 Millionen Dollar für ein Infrastrukturprogramm zur Verfügung.Die Lage zur inneren Sicherheit
Kurz nach dem Sturz von Aristide kam es zu vereinzelten Übergriffen auf US-Soldaten Dabei wurden bis zum 10. März 2004 vier Haitianer getötet.Die humanitäre Lage
In einem dringenden Spendenappell der Vereinten Nationen an die internationale Gemeinschaft Anfang März 2004 bat man um Spenden für die acht Millionen Haitianer. 35 Millionen Dollar seien für die humanitäre Hilfe notwendig, mit dem Geld könne man Haiti sechs Monate mit Medikamenten und Nahrungsmitteln versorgen. Das Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF teilte darüber hinaus mit, dass rund 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche dringend humanitäre Hilfe brauchen. Viele seien seit langer Zeit unzureichend ernährt und besonders von Infektionskrankheiten bedroht.