Geschichte der Karpato-Ukraine
Dies ist die Geschichte der Karpato-Ukraine, die in der heutigen Ukraine liegt.
Table of contents |
2 Teil Ungarns 3 Teil der Tschechoslowakei 4 November 1938 - 1945 |
Erste Slawen
Nachdem das Gebiet der Karpato-Ukraine in der Völkerwanderungszeit vorübergehend von vielen verschiedenen Völkern bewohnt worden war, besiedelten im 6. Jahrhundert vom Norden kommende Slawen den mittleren Teil. Im 7. Jahrhundert grenzte das dünn besiedelte Gebiet im Süden an das Reich der Awaren. Im 8. Jahrhundert wurde die Besiedlung der Karpato-Ukraine dichter. Im 9. Jahrhundert war der westliche Teil wahrscheinlich Bestandteil des Neutraer Fürstentums in der heutigen Slowakei und später im gleichen Jahrhundert sicherlich Bestandteil von Großmähren mit einer wichtigen Burgstätte in Uschhorod. Der südwestliche Teil des Gebiets bildete wahrscheinlich 896 das erste Ziel des (erfolgreichen) Angriffs der aus Asien kommenden Nomadenstämme der Magyaren gegen Großmähren. Nach ungarischen Sagen sind die Ungarn durch die Verecke-Pass in das Karpatenbecken eingedrungen.
Im 10 und frühen 11. Jahrhundert war das Gebiet Bestandteil der Kiewer Rus.
Teil Ungarns
In der Mitte des 11. Jahrhunderts wurde das Gebiet sukzessive an Ungarn angeschlossen. Die damaligen Bewohner des Gebiets werden in den Quellen in der Regel nur als Rutheni Regiae Majestatis, das heißt militärische Kolonien in königlichen Diensten, bezeichnet. Ruthenische Bauern werden erst im 13. Jahrhundert erwähnt. Bis 1918 umfasste das Gebiet innerhalb Ungarns die Komitate Ung (Usch), Bereg, Ugocsa (Ugotsch) und den nördlichen, größeren Teil von Máramaros (Maramures, deutsch Marmaros).
Nach dem Mongoleneinfall von 1242 wurde das Gebiet neuerlich von Ruthenen besiedelt. Im 13 bis 15. Jahrhundert gelangten Teile der Karpato-Ukraine als Geschenk an Fürsten aus dem Gebiet hinter den Karpaten. So wurde in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts die Burg Füzér (heute in Ungarn) mit zwei Dörfern (Possessiones Rutheni coles) dem Fürsten Rostislav Michajlovič geschenkt, während Mukatschewe 1396 an den Fürsten Fedir Kojatovič fiel. Dieser hat später das orthodoxe Kloster des Hl. Nikolaus auf dem Hügel des Mönchs errichtet.
Etwa seit dem 13. Jahrhundert kam es zur Kolonisierung durch die so genannten Walachen, das heißt es wurden Gemeinden (Krajna) nach walachischem Recht gegründet. Um 1440 begannen die ersten orthodoxen Bischöfe, von Mukatschewe aus für die Ruthenen in den Karpaten tätig zu sein. Seit dieser Zeit beschäftigte sich die Bevölkerung hauptsächlich mit Viehzucht und –handel.
Die meisten ethnischen Magyaren sickerten erst seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in den südwestlichen Teil der Karpato-Ukraine ein, nachdem der Großteil des heutigen Ungarns Bestandteil des Osmanischen Reiches geworden war.
Wohl vom 16 bis zum 18. Jahrhundert waren die östlichen zwei Drittel des Gebiets (zeitweise auch das ganze Gebiet) ein Bestandteil von Siebenbürgen, das seinerseits mehr oder weniger zu Ungarn gehörte. Im Jahre 1646 wurde durch die Union von Uschhorod die Orthodoxe Kirche in Ungarn (Ostslowakei, Karpato-Ukraine, nordöstliches heutiges Ungarn) Rom unterstellt. Dadurch entstande die heutige Griechisch-Katholische Kirche. 1698-1699 erschienen die ersten für die Ruthenen bestimmten Bücher: die Fibel und der Katechismus; die erste karpatenrussische Zeitung kam erst 1867 heraus. Um 1700 bildete die westliche Karpato-Ukraine die Ausgangsbasis für die im damaligen "Oberungarn" (der heutigen Slowakei) stattfindenden antihabsburgischen Aufstände von Imre Thököly und vor allem von Ferenc Rákóczi II.
Die in Tschechien und der Slowakei bereits in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte so genannte nationale Wiedergeburt fand bei den Ruthenen erst 1849-1867 statt, allerdings ohne nennenswerte Erfolge. Nachdem 1849 die Ungarn von russischenen Truppen geschlagen worden waren, legten die Ruthenen unter der Führung des Politikers Adolf Ivan Dobrjanský der Regierung ihre Forderungen nach Anerkennung ihrer Nation, Sprache sowie nach einer entsprechenden Verwaltungsgliederung vor. Nach dem Ausgleich von 1867 waren die Ruthenen genauso wie alle anderen Nationalitäten in Ungarn einem sehr starken Magyarisierungsdruck ausgesetzt. Am Ende des 19. Jahrhunderts brach ein erster Aufstand gegen Ungarn aus. Dieser hatte den Anschluss an das ukrainische Gebiet zum Ziel.
Bevor das Gebiet 1919 der Tschechoslowakei angegliedert wurde, war es eine der wirtschaftlich rückständigsten Gegenden Europas. Ohne Industrie, lag es in den Händen von ungarischen Großgrundbesitzern, die allerdings praktisch nur zur Jagd in die Karpaten fuhren; die ruthenische, das heißt ukrainische Bevölkerung waren größtenteils Analphabeten. Erst 1872 wurden die ersten Eisenbahnlinien (Budapest-Uschhorod (Ungvár) sowie Lemberg-Budapest) eröffnet. Seit 1880 fand eine massive Auswanderung in die USA statt, die nach dem Anschluss an die Tschechoslowakei anhielt.
Teil der Tschechoslowakei
Im Zuge des Zerfalls von Österreich-Ungarn waren einige Ruthenen im November 1918 für eine Angliederung an die Ukraine, andere wollten zu Russland, andere wiederum eine Autonomie innerhalb Ungarns, und der amerikanische Nationalrat der Karpatenrussen vereinbarte mit Tomáš Garrigue Masaryk die Angliederung an die neu entstandene Tschechoslowakei. Am 26. Dezember gestand Budapest dem Gebiet eine Autonomie (unter dem Namen Ruska Krajina) zu, die im März 1919 innerhalb der kurzlebigen Ungarischen Räterepublik (Ungarische Sowjetrepublik) noch ausgeweitet wurde.
Die Alliierten beschlossen jedoch, das Gebiet der Tschechoslowakei anzuschließen, da sich diese als das stabilste und wirtschaftlich stärkste Land Mitteleuropas erwies, was für das multiethnische und rückständige Karpatenrussland damals wichtig war. Nachdem tschechoslowakische Truppen das Gebiet 1919 besetzt hatten, hat der Zentrale Nationalrat der Karpatenrussen in Uschhorod am 8. Mai 1919 für eine Angliederung an die Tschechoslowakei gestimmt. Nachdem die Tschechen und Slowaken jedoch das Ausmaß der Rückständigkeit dieses Gebietes gesehen hatten, weigerten sie sich dann doch, Karpatenrussland an die Tschecho-Slowakei anzuschließen. Es war aber zu spät, denn bei den Verhandlungen über den Vertrag von Saint-Germain wurden sie von den Alliierten aus den vorstehend genannten Gründen praktisch zum Anschluss gezwungen. Mit dem Vertrag von Saint Germain vom 10. September 1919 erhielt die Tschechoslowakei Karpatenrussland, mit der bei der Pariser Friedenskonferenz gestellten Auflage, diesem eine weite Autonomie zu gewähren. Diese Autonomie wurde dem Gebiet jedoch in der Praxis bis 1938 nicht gewährt (das Parlament für das Gebiet wurde nie einberufen, der Gouverneur wurde vom Präsidenten der Tschechoslowakei ernannt) und das Gebiet bildete de-facto nur eine Provinz namens Karpatenrussland (Podkarpatská Rus, wörtlich Subkarpatisches Ruthenien). Hauptstadt war wie heutzutage Uschhorod.
Die Ruthenen waren neben der fehlenden Autonomie auch mit dem Grenzverlauf zur Slowakei unzufrieden, da dieser 1919 150.000 Ruthenen auf dem Gebiet der nordöstlichen Slowakei beließ (auch bis heute).
Das Gebiet erfuhr zu Zeiten der Tschechoslowakei einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung, doch blieb es die bei weitem ärmste Region des Landes.
Aufgrund einer starken kulturellen und sprachlichen Verwandtschaft der Bevölkerung des Gebiets mit den Ukrainern, Lemkos und Boikos in der Sowjetunion und in Polen der Zwischenkriegszeit, gab es in Karpatenrussland während der gesamten Zwischenkriegszeit sezessionistische Tendenzen. Politisch war das Gebiet durch zahlreiche Parteien charakterisiert, von denen die politischen Gruppierung der Ukrainophilen, Russophilen, die Kommunisten und jene der Ungarn am wichtigsten waren. Die Ukrainophilen, die von der Nationalen Christlichen Partei von Augustin Woloschyn vertreten wurden, waren in der Regel griechisch-katholisch und waren überwiegend für eine Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei, teiweise jedoch für eine Angliederung an die Ukraine. Die Russophilen, die von der Landwirtschaftlichen Föderation von Andrej Brodij bzw. von der faschistischen Partei von Fencik vertreten wurden, waren meist griechisch-orthodox und wollten ebenfalls Autonomie. Die Ungarn wurden von der Vereinigten Ungarischen Partei vertreten, die in den Wahlen konstante 10% der Stimmen in Karpatenrussland gewann und in permanenter Opposition zu Prag stand. Die aufgrund der Rückständigkeit des Gebiets starken Kommunisten waren für eine Angliederung an die Sowjetunion (Ukraine). In den Wahlen von 1935 gewannen diejenigen Parteien, die die Regierung in Prag unterstützten, nur 25% der Stimmen; 63% entfielen auf Gegner der Prager Politik wie die Kommunisten (25% der Stimmen), die Ungarn-Partei und die autonomistischen Gruppierungen.
Nachdem auch die Slowakei Anfang Oktober 1938 ihre Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei proklamiert hatte, wurde auch in Karpatenrussland am 11. Oktober die erste autonome Regierung unter Andrej Brodij gebildet, und am 26. Oktober die zweite unter Augustin Woloschyn. Das Gebiet wurde im November dann in die Karpato-Ukraine umbenannt.
November 1938 - 1945
Am 2. November 1938 wurde der südwestliche, überwiegend von Ungarn bewohnte Teil des Gebiets mit Mukatschewe (ungar. Munkács) und Uschhorod (ungar. Ungvár) aufgrund des 1. Wiener Schiedsspruchs erneut Ungarn zugesprochen. Als neuer Regierungssitz der Karpato-Ukraine wurde daraufhin Hust' bestimmt.
Allerdings wollte sich Ungarn mit den ethnischen Grenzen, wie sie im Wiener Schiedsspruch gezogen worden waren, nicht zufrieden geben. Das Ziel der ungarischen Politik war weiterhin die komplette Revision des Vertrags von Trianon. In Anbetracht der beschränkten ungarischen Mittel erschien als erster Schritt die vollständige Annexion der kleinen Karpato-Ukraine als realistisch. Diese hätte Ungarn vor allem eine gemeinsame Grenze mit dem befreundeten Polen und der Besitz der Theißquellen gebracht. Deshalb entfachte die ungarische Presse bald nach dem Schiedsspruch eine Kampagne gegen die angeblich "mazedonischen Zustände" in der Karpato-Ukraine. Trotz eindringlicher Warnungen Deutschlands und Italiens vor einem militärischen Fiasko hoffte die Regierung unter Béla Imrédy, die beiden Mächte würden einen Überraschungscoup gegen die Karpato-Ukraine doch hinnehmen. Kurz vor dem Beginn des ungarischen Angriffs legten die Achsenmächte, die sich durch die Ungarn nicht kurz nach dem Schiedsspruch diskreditieren lassen wollten, am 20. November 1938 ein energisches Veto ein, worauf Miklós Horthys Angriffsbefehl widerrufen werden musste.
Nachdem die benachbarte Slowakei ihre Unabhängigkeit proklamiert hatte sowie Böhmen und Mähren deutsches Protektorat geworden waren, erklärte die Rest-Karpato-Ukraine am 15. März 1939 ihre Unabhängigkeit, wurde aber noch am gleichen Tag, im Widerspruch zu den Bestimmungen des Wiener Schiedsspruches, von Ungarn annektiert. Ungarische Soldaten stießen dabei auf militärischen Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Die von Ungarn eine Woche später von der Karpato-Ukraine versuchte Eroberung der Slowakei schlug nach einigen Scharmützeln fehl.
Das Ungarn 1939 neu angegliederte Gebiet hatte 12.000 km2 mit 622.000 Einwohnern, von denen allerdings nur 6% ungarischer Muttersprache waren.
Nach der deutschen Besetzung Ungarns am 19. März 1944 wurden im April und Mai über 100.000 Juden aus der Karpato-Ukraine in deutsche Todeslager deportiert; im Herbst 1944 vertrieb die von Osten vorrückende Sowjetarmee Deutsche und viele Ungarn aus der Karpato-Ukraine.
Das Gebiet war vorläufig wieder Bestandteil der Tschechoslowakei und es wurde eine tschechoslowakische Delegation in das Gebiet geschickt. Die wirkliche Macht lag jedoch in den Händen der allerorts gebildeten lokalen Nationalausschüsse, deren Kontaktaufnahme mit den tschechoslowakischen Behörden von den Sowjets systematisch unterbunden wurde. Edvard Beneš verbot die Tätigkeit der ungarischen, deutschen, russophilen Parteien sowie der faschistischen Fencik-Partei; übrig geblieben waren damit praktisch nur die Kommunisten und die Prag-Anhänger. Am 26. November 1944 sprach sich eine Versammlung der Nationalausschüsse in Mukatschewe (deutsch Munkatsch, ungarisch Munkács) auf Initiative der Kommunisten von Mukatschewe schließlich für eine Angliederung an die Sowjetunion als „Transkarpatische Ukraine“ aus. (Das war natürlich eine Entscheidung von Stalin selbst.) Nach anschließenden Verhandlungen zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion, bei denen die (seit dem Zweiten Weltkrieg teilweise von Moskau aus gesteuerten) Kommunisten aus der Tschechoslowakei Benes überredeten, das Gebiet an die Sowjetunion abzutreten, wurde vereinbart, das Gebiet nach Kriegsende der Sowjetunion zu übergeben. Im Juni 1945 geschah dies dann auch. Die zahlreichen Tschechen und Slowaken, die in der Karpato-Ukraine lebten, hatten die Möglichkeit erhalten, tschechoslowakische Staatsbürger zu werden. Die Sowjetunion gliederte das Gebiet der Ukrainischen Sowjetrepublik an. Seither teilt das Gebiet die Geschichte der Ukraine.