Gehörlosigkeit
Unter Gehörlosigkeit (Taubheit) versteht man die Minderung des Hörvermögens soweit, dass Gesprochenes trotz Hörhilfen nicht mehr verstanden werden kann.Das Wort gehörlos entstand erst nach der Einführung der allgemeinen Schulbildung tauber Kinder im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts als Begriff für einen Taubstummen, der durch eine unermüdliche Sprecherziehung entstummt worden ist. Daher hat das Wort die Bedeutung von "taub, aber sprechend" erlangt und taube Schulentlassene und Erwachsene werden als "Gehörlose" bezeichnet. Diese Wortbildung ist ungewöhnlich in deutscher Sprache (vgl. gesichtslos ist nicht gleich blind, geruchlos ist nicht unfähig des Riechens; daher schwer Eingang in der deutschen Sprache). Eine vergleichbare Wortbildung ist unter den westlichen Sprachen nur im Isländischen bekannt.
Wer taub auf die Welt kommt, oder in den ersten zwei Lebensjahren ertaubt, kann nicht auf normalem Weg sprechen lernen, sondern ist auf eine spezielle Hör- und Sprecherziehung angewiesen, mit der - je nach Talent und Übung - die mündliche Form der Lautsprache seiner Umgebung erlernt werden kann. Dazu werden bei Gehörlosen, die noch ein Restgehör aufweisen, auch Hörhilfen verwendet. Technische Hörhilfen sind das Hörgerät sowie die medizinisch-technischen Geräte Cochlear Implantat (CI) und Hirnstamm-Implantat (Brain Implantat, BI).
Zum Verstehen der lautsprachlichen Informationen sind taube Personen auf das Lippenlesen und - je nach Versorgung - zusätzliche Unterstützung durch Hörgeräte angewiesen. Da sowohl visuell von den Lippenstellungen wahrnehmbare Sprechtöne als auch die gehörten Töne nur bruchstückhaft wahrnehmbar sind, müssen taube Personen die übermittelte Information schnell zusammenraten und Hinweise aus dem Kontext der Umgebung und vorhergehenden Sätzen zum Raten heranziehen, was bei größerem Umfang - z.B. einem Vortrag - sehr anstrengend oder auch unmöglich ist.
Zur natürlichen Unterhaltung untereinander haben taube Personen Gebärdensprachen herausgebildet, die auf rein visuellem Weg wahrgenommen werden können.
Da taube Personen durch ihre Kommunikationsbehinderung in der Gesellschaft meist isoliert sind, werden soziale Kontakte vornehmlich innerhalb diese Gruppe gepflegt. Dabei haben sie für sich über Jahrhunderte hinweg eine eigene Kultur gebildet.
Als politische, soziale und kulturelle Interessenvertretung der Tauben im deutschsprachigen Raum betrachten sich der Deutsche Gehörlosen-Bund, der Österreichische Gehörlosen Bund und der Schweizerische Gehörlosenbund.
Solange es keine Schulen mit gezielter und umfassender Spracherziehung gab, hatten taube Menschen kaum Chance, sich verständlich zu äußern, wodurch die irreführende Bezeichnung "taubstumm" entstand. Man sollte lieber von "gehörlos" oder "taub" reden, da "taubstumm" von vielen als diskriminierend empfunden wird.
Eine über privilegierte Einzelfälle hinausgehende pädagogische Zuwendung erfuhren die vormals "Taubstummen" erst seit 1771, als der Abbé Charles Michel de l'Epée die erste "Taubstummenschule" in Paris gründete.
In der Schweiz gründete 1777 der Pfarrer Heinrich Keller die erste kleine "Taubstummenschule", als er zwei taube Knaben in sein Pfarrhaus in Schlieren aufnahm. Zuvor wurde bereits 1664/1665 unter der Leitung des Logikprofessors Johann Lavater in Zürich eine wissenschaftliche Arbeit unter dem Namen „Die Lavater’sche Taubstummenschule“ über die physiologischen, theologischen und pädagogischen Aspekte des "Taubstummenproblems" als Dissertation zur Prüfung vorgelegt.
In Deutschland begann Samuel Heinicke 1769 in Hamburg, einzelne taube Schüler lautsprachlich zu unterrichten. 1778 übersiedelte er mit seiner Familie und 9 Schülern nach Leipzig und gründete das "Chursächsische Institut für Stumme und andere mit Sprachgebrechen behaftete Personen".
Tritt die Hörschädigung erst nach dem natürlichen Alter des Spracherwerbs auf, spricht man von "postlingualer Ertaubung", zu Deutsch "Spätertaubung". Die Betroffenen können meist normal sprechen, sind aber ebenfalls auf Lippenlesen angewiesen.
Siehe auch:
- Geschichte der Gehörlosen
- Schwerhörigkeit
- Usher-Syndrom
- Taubblindheit
- Deaf History
- Liste der gehörlosen Personen
Weblinks
- http://www.gehoerlosen-bund.de Deutscher Gehörlosenbund
- http://www.oeglb.at Österreichischer Gehörlosen Bund
- http://www.sgb-fss.ch Schweizerischer Gehörlosenbund
- http://www.taubenschlag.de Online-Portal für Taube, Gehörlose, Hörende und Schwerhörige
- http://www.gl-cafe.de Online Diskussion Forum über Taubheit und Taubsein
- http://www.visuelles-denken.de/ Gehörlos - Was heißt das?
- http://www.sonderpaedagoge.de/geschichte/deutschland/sh/apt.htm
- http://www.bhp-schweiz.ch/pdf_dateien/ seminararbeit_keller.pdf
- Was bedeutet Hörschädigung? - Private Seiten für Schwerhörige, Gehörlose, und Hörende.
- http://www.deafzone.ch freie, unabhängige Kommunikationsplattform für alle
Literaturangaben
Siehe hierzu Literaturliste in Geschichte der Gehörlosen/Teil I