Gefallenes Mädchen
Gefallenes Mädchen war eine Bezeichnung für Mädchen oder Frauen, die den Moralauffassungen der bürgerlichen Gesellschaft des 19 und Anfang des 20. Jahrhunderts nicht genügten. Eine unverheiratete Frau, die sich weigerte verführt zu werden, wurde oft als prüde verspottet, wenn sie jedoch den Verführungen unterlag, galt sie als ein gefallenes Mädchen. Doch fallen konnte nur jemand, der nicht schon ganz unten war, eine Fabrikarbeiterin oder eine Bauernmagd konnte kaum noch ein "gefallenes Mädchen" werden, erst durch einen gewissen sozialen Rang wurde die Gefahr zu fallen gegenwärtig.Die patriarchalisch geprägte Gesellschaft des 19. Jahrhunderts gestattete es paradoxerweise zwar dem Mann, eine Geliebte zu haben, währenddessen diese Geliebte gesellschaftlich geächtet wurde. Die Unterdrückung der Rechte der Frauen bezog sich nicht nur auf den Moralkodex.
Sängerinnen, Künstlerinnen, Tänzerinnen, Kokotten, Kurtisanen und wie man sie sonst auch immer bezeichnete, waren eine Ausnahme. Mata Hari stürzte trotzdem: Zuerst hoch begehrt und bewundert, die Welt, zumindest die männliche Hälfte, lag ihr zu Füssen, sie fiel durch einen Spionageverdacht in Ungnade und keiner hatte den Mut ihr noch beizustehen, sie wurde verurteilt und hingerichtet.
In Kunst und Literatur, besonders in den Groschenromanen wurden solche Schicksale tausendfach zur Abschreckung verbreitet, ja selbst Johann Wolfgang von Goethe, Geheimrat und Dichterfürst, habe im Faust eine Geschichte vom gefallen Mädchen, dem Gretchen, verewigt. Zwischen den Weltkriegen war es auch der Erfolgsroman "Das Kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun, welcher die Geschichte eines gefallenen Mädchens nicht ganz humorlos erzählt. Doch heute ist diese Bezeichnung zum Glück nicht mehr gebräuchlich. Die gefallenen Mädchen treten in Talk-Shows im Privatfernsehen auf oder moderieren sie sogar, sie bekommen Werbeverträge und pfeifen auf die alten Zöpfe.
Erste Schübe der Emanzipation der Frauen wurden in Deutschland insbesondere im Nationalsozialismus zunichte gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg löste unter anderem die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer mit ihrem öffentlichen Bekenntnis, "abgetrieben" zu haben, einen Skandal aus, der allerdings dazu beitrug, dass in der öffentlichen Diskussion und im Bewusstsein der Menschen Begriffe wie gefallenes Mädchen allmählich verschwanden.