Funktionstheorie
Die so genannte "Riemannsche" Funktionstheorie versucht, anhand von Buchstabensymbolen hörbare Spannungsbeziehungen (=Funktion) zwischen einzelnen Akkorden eines Musikstückes zu erfassen. Grundlage für die Funktionstheorie ist das durmolltonale Empfinden (= Tonalität). In der tonalen Musik sind alle Entwicklungen auf einen Grundton gerichtet. Zu dem Grundton gehört eine Tonleiter. Auf jeder Stufe dieser Tonleiter lassen sich Dreiklänge bilden. In der Funktionstheorie liegen die wichtigsten Akkorde auf der I., IV. und V. Stufe. Eine Folge dieser drei Klänge bezeichnet man als Kadenz, sie bestimmt die Tonart.Im Wesentlichen verwendet die Funktionstheorie dazu die Buchstaben
- T für Tonika (I. Stufe, Grundton)
- S für Subdominante (IV. Stufe, Unterquinte, daher sub)
- D für Dominante (V. Stufe, Oberquinte)
sowie t, d, s für Moll-Dreiklänge.
Eine einfache Dur-Kadenz jeder beliebigen Tonart (hier C-Dur) lässt sich so universell darstellen als T S D T:
Spielt man diese Kadenz in einer anderen Tonart, z. B. in A-Dur, so verändert sich zwar die gesamte Tonhöhe des Gebildes,
nicht aber die Spannungsbeziehung der vier Akkorde untereinander.
Es handelt sich also bei der funktionalen Bezeichnung nicht um eine absolute, sondern eine relative, die immer den Bezug zu einer Grundtonart benötigt.
- Wird ein Bratscher gefragt: "Was ist die Subdominante von F?" "Wieso, F ist doch die Subdominante..."
- ...stimmt natürlich nur in C-Dur, der einfachsten Tonart. Die richtige Antwort wäre aber B.
- Wird ein Bratscher gefragt: "Was ist die Subdominante von F?" "Wieso, F ist doch die Subdominante..."
Table of contents |
2 Zusätze in Form von Buchstaben 3 Andere Zeichen und Symbole 4 Funktionsharmonische Analyse eines Bach-Chorals |
Diese wohl häufigste Art von Zusätzen bezeichnet Intervalle, die in Bezug auf den Grundton des jeweiligen
Akkordes zu verstehen sind.
Zusätze in Form von Zahlen
Wenn nicht anders vermerkt, handelt es sich immer um leitereigene Töne, das heißt, die Töne kommen in der
Tonleiter der Grundtonart vor. Darum im Beispiel mit B-Dur auch es und nicht e, da in der Tonleiter das e zum es
erniedrigt ist.
Es gibt zwei Orte, an denen Zahlen zum Buchstaben hinzugefügt werden können:
- rechts oben (wie ein Exponent in der Mathematik)
- unter dem Buchstaben
Dabei kommen als häufigste "Beigaben" die 7 und eine übereinander notierte Kombination aus 5 und 6 vor.
Diese werden dem Dreiklang einfach hinzugefügt.
"Ersetzungen" sind etwas komplizierter.
Führen wir uns zunächst die Grundstruktur des Dreiklangs vor Augen, der aus dem ersten, dem dritten und dem fünften Ton der
Tonleiter besteht.
Diese Struktur wird, wie beim Generalbass als Voraussetzung gesehen und deswegen auch in der Funtionsschreibweise
nicht ausdrücklich erwähnt.
Alle ersetzenden Intervalle fungieren bis einschließlich zur klassischen Musik als "Vorhalte", die nach den Regeln der Stimmführung aufgelöst, das heißt in den Grundklang zurückgeführt werden müssen.
Im einzelnen sind dies:
- 4 - Die Quarte
- sie ersetzt die Terz des Dreiklangs (=Quartvorhalt)
- oft gebraucht in Verbund mit
- sie ersetzt die Terz des Dreiklangs (=Quartvorhalt)
- 6 - Die Sexte
- sie ersetzt die Quinte des Dreiklangs (im Verbund mit der 4: Quartsextvorhalt)
- sie ersetzt die Quinte des Dreiklangs (im Verbund mit der 4: Quartsextvorhalt)
- 9 - Die None
- sie ersetzt die Oktave des Dreiklangs, also den oktavierten Grundton.
- Aus diesem Grund schreibt man statt 9 auch nicht 2, was rechnerisch das gleiche meint, denn die hieraus folgende Ersetzung des Grundtons selbst würde dem Dreiklang die Basis entziehen.
- sie ersetzt die Oktave des Dreiklangs, also den oktavierten Grundton.
- Die 1 wird wieder stillschweigend vorausgesetzt
- Die 5 ist auch eher ungewöhnlich, da sich der entstehende Akkord meist als Grundakkord mit Quartsextvorhalt entpuppt, was viel aussagekräftiger für den Zusammenhang ist als die bloße Angabe der Umkehrung.
- Wird die Terz (3) in den Bass gelegt, entsteht ein Sextakkord
- Liegt die Septime (7) im Bass, handelt es sich um einen Sekundakkord
Zusätze in Form von Buchstaben
Hierbei handelt es sich um die Angabe von Medianten, die mit dem Ausgangsdreiklang verwandt sind.
Dazu ist grundsätzlich zu sagen, dass das Prinzip "große Buchstaben-Dur; kleine Buchstaben-Moll" auch hier konsequent durchgehalten wird.
Die Buchstabenzusätze werden in Form eines Index (rechts unten) vermerkt.
Sie bezeichnen entweder die
- Parallele (P bzw. p)
- Gegenklang (G bzw. g)
- in C-Dur: Tp bezeichnet die Moll-Parallele der Tonika C, also a-Moll
- in c-Moll: tP bezeichnet die Dur-Parallele der Tonika c, also Es-Dur
- in C-Dur: Tg bezeichnet den Moll-Gegenklang der Tonika C, also e-Moll
- in c-Moll: tG bezeichnet den Dur-Gegenklang der Tonika c, also As-Dur
- TP: bedeutet in C-Dur: die Parallele von C, aber als Durdreiklang, also A-Dur
- tp: bedeutet in c-Moll: die Parallele von c, aber als Molldreiklang, also es-Moll
Ähnlich verhält es sich mit der Funktion "Sp", der am ehesten möglichen Mediante einer Kadenzfunktion. In C-Dur ist die Subdominante F-Dur, deren Parallele d-Moll. Zwar hat diese Parallele im Kontext immer noch subdominantischen Charakter (die Folge Sp-D-T spielt zum Beispiel im Jazz eine überaus wichtige Rolle), dennoch benutzt man diesen Ausdruck selten, da eine andere, viel entscheidendere Qualität verschleiert wird: die Folge d-Moll, G-Dur, C-Dur ist Teil einer Quintfallsequenz, die einzelnen Basstöne stehen im Quintenabstand zueinander. Der Begriff "Subdominante" im Zusammenhang mit dem ersten Klang lässt dies auf den ersten Blick aber nicht vermuten (Subdominante und Dominante sind genau einen Ganzton voneinander entfernt).
Daher verwendet man in solchen Fällen gerne die etwas allgemeiner gehaltene Stufentheorie, die die Klänge neutraler beschreibt, aus diesem Grunde aber auch wenig über Spannungsverhältnisse aussagen kann.
Obwohl Bach die Funktionstheorie nicht bekannt war, lassen sich seine Choräle (in Grenzen) mit ihr beschreiben. Die folgende Analyse erhebt (natürlich) keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Sie ist ebenso nur eine Interpretation des Chorals, andere sind durchaus denkbar. Was gut zu sehen ist, dass die Komposition wegen der vielen kleinen Bewegungen in den einzelnen Stimmen nur sehr kompliziert beschrieben werden kann, was darauf zurückzuführen ist, dass im Barock das horizontale, also melodische Prinzip sehr viel wichtiger war als das vertikale, also harmonische Prinzip. Überhaupt wird die Funktionstheorie dieser Musik eigentlich nicht gerecht, da harmonische Strukturen zu dieser Zeit vom Generalbass her gedacht wurden. Dennoch: die funktionsharmonische Analyse ist gängige Praxis, auch wenn sie schnell an ihre Grenzen in bezug auf Übersichtlichkeit und Vollständigkeit stößt.
Die vorliegende Analyse ist allerdings zwecklos, wenn sie nicht interpretiert wird. Im Grunde ist die Übersetzung in Funktionssymbole lediglich eine verallgemeinernde Betrachtung des komponierten Spezialfalls.Andere Zeichen und Symbole
Tritt ein erwarteter Klang nicht ein, kann man diesen trotzdem zusätzlich vermerken, um auf die Besonderheit des tatsächlich eintretenden Klang hinzuweisen. Dieses Phänomen nennt man Ellipse (mit der Bedeutung von Auslassung) und setzt den erwarteten, nicht erscheinenden Klang in eckige Klammern, z. B. [T].
Funktionsharmonische Analyse eines Bach-Chorals
Ein Ansatzpunkt der Interpretation wäre zum Beispiel die Beschreibung der harmonischen Dramaturgie: Der erste Teil (bis zum Wiederholungszeichen moduliert zur Dominante, was als bekanntes Prinzip der Sonata bzw. später der Sonatenhauptsatzform zu deuten wäre. Nachdem die Tonika zu Beginn des zweiten Teils zunächst gefestigt wurde (die Subdominante hat hier entscheidenden Anteil), entfernt sich der Satz sehr weit von ihr, die beiden verkürzten Zwischendominanten bieten im gleichen Zug eine neue Klangqualität. Nach der längsten Zäsur auf der erreichten Subdominantparallele etabliert sich wieder die Tonika, auffällig ist auch, dass die harmonische Bewegung zum Ende hin ruhiger wird, und das vollständige Fehlen von Zwischendominanten glättet den abschließenden Weg zum Grundklang. Besonders hervorzuheben wäre hier am Ende die zweimalige Schlusswendung T-S-D-T, sowie die Betonung (durch starke zeitliche Ausdehnung) der Dominante als vorletztem Klang.
Ein weiterer, möglicher Betrachtungsgegenstand wäre die Behandlung von Umkehrungen, im Besonderen die Stimmführung des Basses: Septimen werden ausnahmslos mit einem Sekundschritt nach unten fortgeführt, Terzen haben ebenfalls eine schrittige Umgebung usw.