Evidenzbasierte Medizin
Evidenzbasierte Medizin, kurz EBM (englisch: evidence, Aussage, Beweis) "ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten. Die Praxis der EBM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung. "(Zitat: David L. Sackett et al. "Was ist Evidenz-basierte Medizin und was nicht?", evidence.de )
Die EBM stellt einen Paradigmenwechsel in der Medizin dar und beruht auf der Anwendung wissenschaftlicher Methoden, die das ganze Spektrum medizinischer Tätigkeit beinhalten und auch lang etablierte medizinische Traditionen, die noch nie systematisch hinterfragt wurden, einer kritischen Wertung unterzieht.
Der Corpus der Cochrane-Collaboration (der so genannte Cochrane-Corpus) versammelt systematisch alle EBM-Fachartikel in Englisch seit 1982 und ist auf eine Menge von mehreren hunderttausend Artikel angewachsen. Durch seine elektronische Verbreitung (auf vierteljährlich aktualisierten CD-Roms mit einer umfassenden Suchfunktion) hat er die EBM zu einer allgemein anerkannten Grundlage alltäglicher medizinischer Arbeit gemacht. In der jüngsten Zeit wird versucht, ihn multilingual zu machen, indem Artikel auf Italienisch, Spanisch und Chinesisch automatisch oder per Hand regelmäßig übersetzt und andererseits auch in diesen Sprachen alle anderssprachigen Artikel (insbesondere englisch) verfügbar gemacht werden.
Gerd Gigerenzer befürwortet ein Umdenken von lokalen Traditionen der Krankenbehandlung zu den gesicherten statistischen Fakten der EBM. Für ihn ist schon die Begriffsbildung bezeichnend, da informierte Entscheidungen immer noch eher ein Ideal als die Realität darstellen: man kann sich kaum Naturwissenschaftler vorstellen, die etwa Werbung für evidenzbasierte Physik machen müssen.
Der Streit zwischen traditioneller und evidenzbasierter Medizin ähnelt dem Konflikt zwischen Corpuslinguistik und traditioneller Linguistik. Auch dort haben computergestützte Methoden den empirischen Nachweis von vorher eher glaubensbasierten Erkenntnissen leichter gemacht.
Bei allen vorhandenen Problemen hat sich die evidenzbasierte Medizin allerdings und zumindest in folgendem Punkt als erfolgreich bewiesen: Von der Kanzel herab getätigte Äußerungen "medizinischer Experten" sind hinterfragbar geworden. Ein Mindestmaß an überprüfbaren Belegen reicht nicht mehr aus, eine zunehmend skeptische Kollegenschaft zu beeindrucken. Behauptungen müssen durch Argumente ersetzt werden, die die einschlägige medizinische Litertur untermauern muss. Medizinisches Wissen ist hinterfragbar geworden.
Weiters - so muss hinzu gefügt werden - ist eine Kenntnis der eigenen Wirkung auf den Patienten genau so gefragt wie ein Bewusstsein darüber, welche Sorte Patient die schwachen Seiten des Arztes zum Vorschein bringt.
Allerdings ist evidenzbasierte Medizin keine Einbahnstraße: Vom mündigen Patienten darf ebenfalls gefordert werden, sich den gegebenen Erkenntnissen der Medizin nicht zu verschließen.
In der Bewertung (Validierung) der externen Evidenz ergibt sich somit unter Berücksichtigung medizinischer, technischer und statistischer Methoden folgende Rangfolge der erkenntnistheoretischen Qualität von Information in absteigender Reihenfolge:
Siehe auch: Anzahl der notwendigen Behandlungen, prospektive Studien, retrospektive Studien, experimentelle Studien, Erkenntnistheorie, Ethik, Medizinische Wirksamkeit, Geschichte der Medizin, Stage migration
Definition
Geschichte
Das 1972 erschienene Buch "Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services" von Professor Archie Cochrane, einem britischen Epidemiologenn, markiert den Beginn der EBM. Seine weitere Arbeit führte zu einer zunehmenden Akzeptanz dieses neuen Konzepts und wurde bald dadurch gewürdigt, dass mehrere Zentren zur Erforschung evidenzbasierter Medizin (siehe Cochrane Zentrum) und eine internationale Organisation - die Cochrane Collaboration - nach ihm benannt wurden.Cochrane-Corpus
Der Nutzen der evidenzbasierten Medizin
Das gesamte medizinische Wissen verdoppelt sich derzeit alle fünf Jahre, wobei einzelne Fachgebiete eine sehr viel stärkere Dynamik aufweisen. Bei der Fülle des be- und entstehenden Wissens ist der einzelne Arzt zunehmend überfordert, das für ihn Bedeutende zu bestimmen. EBM setzt sich das Ziel, die Qualität der veröffentlichten medizinischen Daten zu bewerten und damit auch zu verbessern. Damit dient EBM dem Patienten, dem einzelnen Arzt, der einzelnen Forschungseinrichtung und der Gesundheitspolitik. Allerdings ist die EBM selbst noch eine junge Wissenschaft, die sich ebenfalls weiter entwickelt. Kritik an der evidenzbasierten Medizin
Die wesentlichen Argumente der Kritiker sind folgende:
Dabei handelt es sich um Kritikpunkte, die im Einzelfall sicher nicht von der Hand zu weisen sind.
Forderungen der evidenzbasierten Medizin
Evidenzbasierte Medizin fordert vom Arzt als "Konsumenten" dieses neuen Angebots nicht nur klinische Expertise (das heißt Fachwissen am Krankenbett), sondern auch das Wissen, wie man sich die Ergebnisse guter wissenschaflticher Forschung holt, wie man sie interpretiert und wie man sie anwendet. Expertise ist ebenso gefragt in der Gesprächsführung mit dem Patienten, vor allem in der Besprechung möglicher Nutzen und Risiken der verschiedenen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Hierachie der externen Evidenz
EBM ist nicht auf randomisierte, kontrollierte Studien (Abkürzung: RCTs) und Metaanalysen begrenzt. Dennoch haben sich diese als Goldstandard in der großen Mehrzahl jener Fragestellungen erwiesen, bei denen es darum geht, Nutzen und Risiken von neuen wie alten Therapien zu bewerten. Quellen
Weblinks
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