Europäische Einigung
Nach dem Aufkommen des Nationalismus im 19. Jahrhundert entwickelten sich Ideen, diesen durch eine europäische Einigung zu überwinden. Diese Vorstellungen eines freiwilligen Zusammenschlusses der Europäer standen im Gegensatz zu den bisherigen staatlichen Strukturen, die zuvor große Teile Europas umfaßt hatten: das römische Imperium, das Frankenreich unter Karl dem Großen, das Heilige Römische Reich und die durch die Eroberungskriege Napoleons entstandene Konstellation zwangsweise verbündeter Staaten.So beschrieb der französische Schriftsteller Victor Hugo 1851 die Überwindung der nationalen Gegensätze durch eine europäische Familie mit gemeinsamen Institutionen. Der österreichische Diplomat Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi gründete die Paneuropa-Union, die 1926 in Wien und bis 1935 drei weitere in Berlin, Basel und wiederum in Wien veranstaltete. Der damit beförderte Gedanke einer europäischen Einigung erreichte allerdings nur Teile der Eliten und erzielte somit keine Breitenwirkung.
Es existierten in Europa bereits vor dem Zeitalter der Nationalstaaten Ideen zu einer europäischen Einigung. Maximilien de Béthune Herzog von Sully entwarf in seinen 1662 posthum veröffentlichten Mémoires ou Oeconomies royales d’Estat mit seinem Grand Dessin eine überstaatliche Struktur, die die europäischen Republiken (einschließlich einer neu zu gründenden italienischen Republik sowie Venedig, Schweiz, Niederlande), Erb- (England, Frankreich, Spanien, Schweden, Dänemark, Lombardei) und Wahlmonarchien (Papsttum, Deutschland, Böhmen, Polen, Ungarn) ohne Rußland umfassen sollte, um vor allem die türkischen Invasionen gemeinsam abwehren zu können. William Penns in dessen Essay toward the Present and Future Peace of Europe beschriebener Entwurf umfaßte auch Rußland und die Türkei und ging somit zumindest in Bezug auf die territoriale Ausdehnung weiter als der heutige Status quo der EU.
Nach dem letzten Versuch einer gewaltsamen Einigung Europas durch Hitlers Eroberungskrieg nahmen die Versuche einer friedlichen europäischen Einigung konkrete Gestalt an. Auf Churchills am 19. September 1946 bei einer Rede an der Universität Zürich geäußerte Idee der Vereinigten Staaten von Eropa folgte 1949 die Gründung des Europarats, der allerdings mit Ausnahme seines Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Souveränität der Mitgliedstaten kaum berührt.
Aus dem ERP (Marshallplan) entwicelte sich die OEEC, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa beförderte. Die 1951 durch einen kleineren, sechs Staaten umfassenden Kern europäischer Staaten gegründete Montanunion EGKS verband ökonomische und politische Ziele, indem durch eine gemeinschaftliche Nutzung der Kohle- und Stahlressourcen ein künftiger Krieg gegeneinander unmöglich gemacht werden sollte.
Der EGKS sollte die Europäische Verteidigungsgemeinschaft folgen, die den Rahmen für die deutsche Wiederbewaffnung durch eine Einbindung in eine europäische Verteidigung bilden sollte. Die französische Nationalversammlung lehnte die EVG aber ab, was auch zum Scheitern der weiter führenden EPG führte.
Die sechs Mitglieder der Montanunion gründeten daraufhin EWG und Euratom, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Kooperation bei der zivilen Nutzung der Kernenergie zu fördern. Diese drei Gemeinschaften wurden 1965 organisatorisch zusammengefasst – die EG entstand. Der Vertrag von Maastricht (1992) schuf die EU und damit einen weiteren Schritt in Richtung politischer Union.