Erbsünde
Die Lehre von der Erbsünde ist eines der grundlegenden Elemente christlicher Theologie.Allerdings wird der Begriff in der orthodoxenen, römisch-katholischen und den verschiedenen evangelischen Traditionen unterschiedlich aufgefasst.
Gemeinsam ist allen Traditionen die Lehre, dass der Mensch durch die Erbsünde von der Gemeinschaft mit Gott getrennt ist, dass er aus eigener Kraft diese Gemeinschaft nicht wieder herstellen kann, und dass diese Trennung durch Jesus Christus überwunden wird. Auch über die genaue Art dieser Erlösung und den Weg dorthin gibt es innerhalb der verschiedenen christlichen Konfessionen unterschiedliche Auffassungen.
Philosophisch und psychologisch enthält die Lehre von der Erbsünde das christliche Menschenbild.
Table of contents |
2 Geschichtliche Entwicklung der Lehre |
Traditionelle Christliche Lehre
Entwicklung nach Paulus
Der Apostel Paulus von Tarsus entwickelt die Theologie von der Erbsünde in seinem Brief an die Römer im 5. Kapitel.
Paulus sucht darin nach einer theologischen Begründung der Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi. Für ihn steht fest, dass der Tod Christi einen Zweck hat, und zwar die Erlösung der Menschen. Daraus folgt, dass der Mensch absolut erlösungsbedürftig (mit einem anderen Wort: sündig) sein muss (Röm 5,6-11), denn wenn der Mensch von sich aus den Zustand der Sünde verlassen könnte, wäre der Kreuzestod nicht notwendig gewesen. Das Ereignis des Kreuzestodes belegt also aus Paulus Sicht die Notwendigkeit der Sündhaftigkeit der Menschheit. Der Ursprung dieser Sündhaftigkeit kann nicht bei Gott selbst liegen, da dieser per definitionem sündlos ist, sondern muss auf eine menschliche Handlung zurückgehen. Diese menschliche Handlung findet Paulus in der Auflehnung von Adam und Eva, nachdem sie von Satan zum Ungehorsam angestiftet worden waren. Die Konsequenz dieser Auflehnung ist die Trennung von Gott, nicht nur für Adam und Eva, sondern auch für ihre Nachkommen:
- Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchdrungen ist, weil(*) sie alle gesündigt haben (Röm 5,12)
Der zentrale Punkt wird in seinem ersten Brief an die Korinther nochmals betont:
- Denn wie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden (1. Kor 15,22)
Die Lehre in den Kirchen
Der Mensch ist durch den Sündenfall Adams aus katholischer Sicht vom Beginn seines Lebens im Mutterleib, also von seiner Empfängnis an, im Zustand der Erbsünde, welche eine Unordnung der menschlichen Natur darstellt, imdem sie den Menschen seiner heiligmachenden Gnade beraubt und dazu führt, dass der Mensch zum Tun von Bösem neigt. Den Ausweg aus der Erbsünde sieht die Kirche im Kreuzestod Jesus Christus, der es dem Menschen ermöglicht, in den Zustand der Erlösung einzutreten und mit Gott versöhnt zu sein.Nach Auffassung Luthers – die hier im Gegensatz zur katholischen Lehre steht – ist der Mensch aber vom Beginn seines Lebens an böse (im "Zustand der Sünde") und ist dadurch von Gott getrennt. Dabei ist es unerheblich, ob der Einzelne gut oder schlecht handelt. Selbst das passive neugeborene Kind ist nach diesem Verständnis schlecht.
Die von Augustinus von Hippo begründete Lehre von der Erbsünde ist zentral für das westliche Christentum. Ohne die Erbsünde könnte der Mensch sich zum Guten oder Bösen entscheiden (wie es etwa in den verwandten Religionen des Judentums oder des Islam gelehrt wird). Da der Mensch, anders als die gefallenen Engel, deren Auflehnung gegen Gott unwiderruflich ist, an die Zeit gebunden ist, ist Vergebung und Reue möglich. Aus der Erbsünde ergibt sich daher die Notwendigkeit der Erlösung des Menschen, die durch die Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi ermöglicht wurde. Aus diesem Grund spricht der Apostel Paulus von Christus als dem neuen Adam. Diese Erlösung findet der Mensch in der Wiedergeburt (eigentlich wohl Neugeburt), deren äußeres Bild die Taufe ist. Der Christ unterliegt danach nicht mehr der Erbsünde, sondern ist in den Zustand der Gotteskindschaft emporgehoben.
Nach Ansicht der Orthodoxen Kirche wird nicht die Sünde Adams selbst auf seine Nachkommen vererbt, sondern nur die Folge dieser Sünde, der Tod. Dieser wird jedoch nicht nur an die Nachkommen Adams vererbt, sondern erfasst und versklavt die gesamte Schöpfung, wobei die Angst vor dem Tod in einem Teufelskreis zur Hauptursache weiterer Sünden wird. Die Orthodoxe Kirche geht davon aus, dass die Menschen auch nach dem Sündenfall noch ihren freien Willen haben und immer noch fähig zu guten Taten sind. Der Sündenfall hat jedoch eine Welt hinterlassen, in der Sünde bequem, einfach, angenehm und naheliegend erscheint, Tugend dagegen anstrengend, schwierig, abgehoben, und langweilig. So hat er eine Barriere zwischen den Menschen und Gott aufgestellt, die der Mensch von sich aus nicht niederbrechen kann. Da der Mensch nach dem Sündenfall nicht mehr zu Gott kommen kann, kam Gott in Christus zu den Menschen und versöhnt die Menschen so wieder mit sich. Es wird betont, dass nicht etwa Gott mit dem Menschen versöhnt wird, wozu kein Anlass besteht da Gott dem Menschen in keiner Weise feindlich gesonnen ist, sondern der Mensch mit Gott.
Kurz gefasst
Zusammenfassend ist nach christlicher Auffassung der Mensch als von Gott nach seinem Abbild geschaffenes Wesen ursprünglich gut, da Gott als der Gute schlechthin nur Gutes schaffen kann.
Aufgrund der dem Menschen gegebenen Freiheit konnte sich dieser in Person Adam und Evas im Sündenfall von Gott abwenden.
Alle Nachkommen Adams und Evas erben diese auch Sünde genannte Abwendung.
Durch die Person Jesu Christi wird es dem Menschen möglich, sich Gott wieder zuzuwenden.
Geschichtliche Entwicklung der Lehre
Judentum
Das Judentum teilt mit dem Christentum das alte Testament der Bibel.
Allerdings interpretiert das Judentum die Geschichte vom Sündenfall nicht als den Beginn einer zwangsweisen Sündenkette, und kennt auch keinen Zusammenhang zwischen der von Adam begangenen Sünde und der Sünde später lebender Menschen.
Die von Gott in Folge des Sündenfalls verhängten Konsequenzen (Fluch, Vertreibung aus dem Paradies, Geburtswehen, schwere Feldarbeit, Sterblichkeit) werden als ausreichende Strafen angesehen, unter der seitdem alle Menschen leiden.
Im Christentum als indirekte Hinweise auf Sünde, ewige Verdammung und Christi Erlösung angesehene Worte Gottes werden im Judentum als Maßnahmen verstanden, die das materielle, nicht aber das spirituelle Leben betreffen. Beispielsweise wird die Ankündigung, dass die Nachkommen Evas den Nachkommen der Schlange (Satans) den Kopf zertreten werden (Gen 3,15) im Christentum als ein Hinweis auf den Sieg Jesu über den Satan verstanden. Im Judentum gilt diese Textstelle dagegen als schlichte Aussage zur Gefahr von Giftschlangen.
Die wichtigste jüdische Aussage zum Status der Seele des Menschen lautet, sie sei rein geschaffen. Nach jüdischem Glauben bleibt die Seele des Menschen auch dann rein, wenn er sündigt. Der gnädige Gott vergibt uns Menschen unsere alltäglichen Sünden, insbesondere, wenn wir diese bereuen (vgl. Teshuva). Eine besondere Erlösung ist deshalb nicht nötig.
Das alte Testament bezieht sich auch später in keiner Situation, in der das Volk Israel sündigt, auf den Sündenfall Adams. Es kennt auch nicht die Notwendigkeit eines Erlösers von der Verdammung in die Hölle, in der der sündige Mensch auch nach seinem Tode leide. Insofern ist die Erbsünde ein rein christliches Konzept, das einen radikalen Bruch zur jüdischen Theologie darstellt.
Christentum
In den Evangelien spricht Jesus Christus nirgendwo vom Sündenfall Adams, dessen Fehler er, Jesus, rückgängig zu machen habe.
Die Autoren der Evangelien weisen gleichfalls nicht auf derartige Bezüge zur Schöpfungsgeschichte hin.
Im neuen Testament ist Paulus der einzige Autor, der klare Aussagen zur Erbsünde macht; insofern kann man Paulus als Vater der Lehre von der Erbsünde bezeichnen.
Von der Kirche wurde in den folgenden Jahrhunderten die zentrale Bedeutung des Konzeptes der Erbsünde erkannt. Insbesondere die enge Verbindung mit der Notwendigkeit Jesus Kreuzigung und Auferstehung sowie mit der Gottschaft Jesu, wie sie schon von Paulus erkannt wurde, haben die christliche Theologie seitdem geprägt.
Moderne und rationale Ansichten zur Erbsünde
Eine eher moderne, wissenschaftliche Begründung der Erbsünde lässt sich folgendermaßen entwickeln: Der Mensch als Säugetier betrachtet, entstammt einer Welt, in der die Evolutions-Regeln des Tierreiches gelten: Darwinismus, Fressen und Gefressen-Werden, der Erhalt der Art steht über dem Erhalt des Individuums. Der Mensch erfährt aber durch seinen Verstand (mit den Augen des Christentums: durch die Seele), dass es noch eine andere Welt, eine andere Art des Daseins gibt, in der Werte herrschen, wie "Nächstenliebe", "jeder einzelne ist wichtig", "Selbstlosigkeit", etc. (mit christlichen Augen: die Welt, in der Gott existiert.)
Je mehr sich der Mensch dieser zweiten Ebene zuneigt, umso mehr ist er Mensch. Da der Mensch aber von seiner biologischen Veranlagung diese erste "tierische" Welt nie ganz ablegen kann, steckt also das oben genannte egoistische, sündhafte Verhalten in ihm. (Von daher sind auch Ideologien, die Sozialdarwinismus, das Recht des Stärkeren, etc. propagieren, aus christlicher Sicht in besonderem Maße abzulehnen.)
Genau diese dem Menschen immanente latente Bereitschaft, Schlechtes zu tun, die in der Praxis bei jedem Menschen permanent zum Durchbruch kommt, bezeichnet das Christentum als Erbsünde.
Kritisch ließe sich bei dieser Theorie jedoch anmerken, dass danach die Erbsünde von Gott gewollter Bestandteil der menschlichen Natur sei, und dass diese Theorie keine Erlösung kennt oder verlangt.
Mystische Auffassungen
Nach Auffassung der Mystiker ist die Erbsünde die Unfähigkeit, sich mit der göttlichen Urenergie eins zu fühlen, weil das menschliche Ich diese Erfahrung abblockt. Das Ich begrenzt den Blickwinkel des Menschen auf einen kleinen Ausschnitt der Realität, es trennt den Menschen von der Wahrnehmung des Ganzen. Danach ist Sünde die Trennung und Entfremdung von dem All-Einen. Der Tod Jesu ist daher für Johannes von Kreuz und für andere Mystiker der Archetyp des Ich-Todes. Wenn das Ich abstirbt, so erlebt der Mensch die Auferstehung. Dies bedingt nicht notwendigerweise den körperlichen Tod des Menschen, obwohl sie mit diesem zeitlich zusammenfallen kann. Es handelt sich dabei um eine Einheitserfahrung, die sich der Beschreibung mit sprachlichen Mitteln weitgehend entzieht: man muß sie erfahren haben, um es zu verstehen. Der Begriff des Ich-Todes darf nicht mit Selbstlosigkeit verwechselt werden. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen intensiven Akt der Hingabe an das Seiende. Diese Intensität der Hingabe wird nach der Lehre christlicher Mystiker durch Kontemplation, nach der Zenlehre durch Meditation erlangt. Beide Methoden sind - abgesehen von Äußerlichkeiten -deckungsgleich. Auch die indischen Yoga-Wege können zur mystischen Einheitserfahrung führen. Es sind auch spontane mystische Erlebnisse entsprechend veranlagter Menschen bekannt, die von der Einheitserfahrung ohne systematische Vorbereitung plötzlich überwältigt werden; möglicherweise wurde so aus dem Saulus ein Paulus. In der heutigen Zeit kann ein solches spontanes Erlebnis den betroffenen Menschen in tiefe Verwirrung stürzen. Die etablierten Kirchen stellen für solche Situationen meist keine Hilfen zur Verfügung.