Elisabeth Selbert
Elisabeth Selbert (*22. September 1896 in Kassel; † 9. Juni 1986 ebenda) war eine deutsche Politikerin und Juristin. Sie war eine der vier Mütter des Deutschen Grundgesetzes und zu großen Teilen verantwortlich für die Durchsetzung des Gleichberechtigungsartikels (Art. 3 GG).Selbert wuchs als zweite von vier Töchtern in einer christlichen Familie auf. Die Erziehung war für die damalige Zeit typisch und ließ nicht erwarten, dass Selbert eine der herausragendsten Streiterinnen für die Gleichberechtigung werden würde. Selbert lernt sticken, stricken und nähen und hatte wenig Zeit zum Lesen. Das Mädchengymnasium war für die Familie nicht bezahlbar und so besuchte sie ab 1912 die Kasseler Gewerbe- und Handelsschule des Frauenbildungsvereins. Ihr Ziel damals war Lehrerin zu werden. Auch dies scheiterte an finanziellen Mitteln. Selbert wurde zunächst Auslandskorrespondentin einer Import-Exportfirma.
1914, nachdem sie ihre Stelle verloren hatte, arbeitete sie als Postbeamtenanwärterin im Telegraphendienst der Reichspost. Diese Anstellung hatte sie durch den kriegsbedingten Mangel an männlichen Arbeitskräften bekommen. Hier lernte sie auch 1918, mitten in der Novemberrevolution, ihren späteren Mann, den gelernten Buchdrucker und damaligen Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates in Niederzwehren bei Kassel, Adam Selbert, kennen. Adam Selbert förderte Elisabeth und nahm sie auf politische Veranstaltungen mit. Ende 1918 trat Selbert schließlich in die SPD ein.
Durch Philipp Scheidemann, den früher Reichsministerpräsident, der damals Oberbürgermeister in Kassel war, wurde Selbert ermutigt selbst aktiv Politik zu machen. Nach der Gründung der Weimarer Republik durften Frauen in den Parlamenten mitmischen und Elisabeth Selbert schrieb viele Artikel und sprach auf zahlreichen Veranstaltungen über die Pflicht der Frauen, sich politisch zu informieren und zu engagieren. 1919 hatte Selbert bereits erfolgreich für einen Sitz im Gemeindeparlament in Niederzwehren kandidiert und arbeitet dort im Finanzausschuss. Ihr Thema blieb jedoch die Gleichberechtigung. Im Oktober 1920 ging sie als Delegierte zur ersten Reichsfrauenkonferenz nach Kassel und kritisierte
- "dass wir zwar heute die Gleichberechtigung für unsere Frauen haben, dass aber diese Gleichberechtigung immer noch eine rein papierne ist"
Trotz der Doppelbelastung, Selbert arbeitete weiter im Telegrafenamt und sorgte für die Kindererziehung, fand sie weiterhin Zeit für die politische Tätigkeit. Sie Stellte aber fest, dass ihr die theoretischen Grundlagen fehlten und hoffte, dass
- "juristische Ausbildung helfen würde, politisch effizienter wirken zu können."
1933 kandidierte Selbert auf der hessischen Landesliste für den Reichstag. Ein Einzug ins Parlament scheiterte aber wegen der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor Adam Selbert seine Arbeit und wurde in Schutzhaft genommen. Elisabeth Selbert legte 1934 das zweite Staatsexamen ab und stellte kurz darauf, auf drängen ihres Mannes, den Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft.
Eile war geboten, denn die Nationalsozialisten versuchten Frauen vollständig aus allen juristischen Berufen zu drängen. Der überzeugte Nationalsozialist Otto Palandt, der zuvor Präsident dam Landgericht in Kassel war, wurde Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes und damit zuständig für die Juristenausbildung und Zulassung zu juristischen Berufen. Am 22.07.1934 trat die neue Justizausbildungsverordnung und am 20.12.1934 das Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung in Kraft, das besagte, dass Frauen als Anwälte nicht mehr zugelassen waren, weil das einen "Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates" bedeutet hätte. Ab 1935 wurden nur noch Anträge männlicher Bewerber auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft genehmigt.
Auch Selbert sollte zunächst abgelehnt werden. Gegen den Willen des nationalsozialistischen Präsidenten, gegen das Votum der Rechtsanwaltskammer und gegen die Entscheidung des Gauleiters und des NS-Juristenbundes wurde sie am 15.12.1934 am Oberlandesgericht zugelassen. Es waren zwei ältere Senatspräsidenten, die sich für Selbert einsetzten und in Vertretung für den im Urlaub befindlichen Oberlandesgerichtspräsidenten ihre Zulassung unterschrieben. So konnte Elisabeth Selbert 1934 ihre anwaltliche Praxis eröffnen. Da ihr Mann bis 1945 erwerbslos blieb, musste sie nun die Familie ernähren.
1948 wurde die streitbare Sozialdemokratin für die SPD in den Parlamentarischen Rat gewählt, der die Aufgabe hatte, das neue Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland auszuarbeiten. Die ursprüngliche Formulierung für Artikel 3 stammte noch aus der Weimarer Verfassung und lautete "Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten". Selbert hingegen wollte nach eigenen Aussagen die Gleichberechtigung "als imperativen Auftrag an den Gesetzgeber [...] wissen". Es ging ihr darum, dass die Gleichberechtigung als Verfassungsgrundsatz aufgenommen wurde, so dass viele der damaligen familienrechtlichen Bestimmungen (die aus dem Jahr 1896 stammten) im Bürgerlichen Gesetzbuch ebenfalls überarbeitet werden mussten, da sie diesem Grundsatz widersprachen.
Mit Hilfe der damaligen Frauenrechtsorganisationen und anderer Abgeordneter konnte Elisabeth Selbert schließlich den Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" durchsetzen.
Nach der Arbeit im Parlamentarischen Rat kandidierte Selbert für den Deutschen Bundestag, verfehlte einen Sitz aber knapp. Auch eine Nominierung als erst Richterin am Bundesverfassungsgericht scheiterte 1958; nicht zuletzt an der mangelnden Unterstützung aus den Reihen der SPD.
Ende der 50er Jahre zog sich Selbert, die bis dahin viele Ämter in der SPD und im hessischen Parlament inne hatte aus der Politik zurück und geriet beinahe in Vergessenheit. Sie arbeitete wieder als Rechtsanwältin in ihrer auf Familienrecht spezialisierten Kanzlei. Die Kanzlei betrieb Selbert noch bis zu ihrem 85. Lebensjahr.
Literatur