Chantage
Allgemein
Eine Chantage (von frz. chantage = Erpressung) ist die rechtswidrige Drohung, kompromittierende Enthüllungen zu machen, mit der sich jemand einen Vorteil verschaffen will. Der historische Grundfall der Chantage wurde vom Reichsgericht 1936 beschieden. (RG 64, 379, 381)
Es ist grundsätzlich nicht verboten, auf Missstände allgemeiner und besonderer Art aufmerksam zu machen und zu diesem Zweck Tatsachen zu veröffentlichen. Dieses Recht wird durch Art. 5 GG garantiert.
Von einer Chantage spricht man daher erst dann, wenn die angedrohte Meinungsveröffentlichung keinen Bezug zum Opferverhalten hat und wenn das Opfer die Drohung selbst nicht aushalten muss. Letzteres ist dann der Fall, wenn das eigentliche Opfer an einer Aufklärung des Inhalts der Drohung selbst Interesse bekunden muss und diese Einschätzung gleichzeitig auch im öffentlichen Interesse stehen müsste.
In einem konkreten Fall hat der BGH die Verwerflichkeit einer Drohung mit kompromittierenden Informationen über korruptives Verhalten von öffentlichen Mitarbeitern der Regierung in Berlin abgelehnt, weil die Regierung eine solche Drohung aushalten musste (BGH-Urteil vom 28.01.1992, NJW 1992, 278). Es muss von großem Interesse sein, solchen von öffentlichem Interesse bekundeten Informationen aufklärend nachzugehen. Der vermeintliche Erpresser drohte mit Presseveröffentlichung der korruptiven Vorgänge, um einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, nämlich eine Genehmigung für einen Verkaufsstandplatz auf dem Gelände Berlins.
Ähnlich hat im Juli 2003 die Generalbundesanwaltschaft in ihrer Begründung, nicht gegen den ehemaligen Innensenator Ronald Schill der Stadt Hamburg wegen Nötigung an einem Verfassungsorgan vorzugehen, folgendes der Presse mitgeteilt:
"Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könne erwartet werden, dass Regierungsmitglieder derartigen Angriffen standhalten und hierauf mit politischen Mitteln reagieren. Der Drohung fehle das 'besondere Gewicht' und 'die spezifische staatsgefährdende Zwangswirkung'. Mitglieder der Regierung eines Landes können derartigen Angriffen standhalten und hierauf mit politischen Mitteln reagieren."
Die "Chantage" ist daher nach der jüngeren und praktizierten Rechtssprechung sehr viel diffiziler und zurückhaltender zu betrachten, wenn der Inhalt der Drohung öffentliches Interesse trifft und/oder das Opfer dieser Drohung standhalten muss.
Dabei wird bei dem Opfer nicht mehr der "Durchschnittsmensch", sondern der Opferhorizont des tatsächlich Bedrohten als Maßstab in die Beurteilung mit einbezogen. Der BGH stellte bereits 1983 (BGH 3 Str 256/83 vom 23.11.1983) folgendes fest:
"Als Korrektiv der erreichten Erweiterung der tatbestandlichen Zwangswirkung fungiert das objektive Moment besonnener Selbstbehauptung."
In solchen Fällen, in denen man von einer besonnenen Selbstbehauptung des Bedrohten ausgehen muss, stellt das Inaussichtstellen eines "empfindlichen Übels" keine "Verwerflichkeit" im Sinne der Rechtsprechung dar.
Ferner darf daher neben der oben geschilderten Wende der Rechtssprechung
(dazu auch Münchner Kommentar 2003, § 240 StGB Rn 75,76), im Jahre 1983, zum Maßstab der Verwerflichkeit, bzw. deren neue höchstrichterliche Definition, bei der Heranziehung älterer Urteile (vor 1983) zum Nötigungs- und Erpressungstatbestand gerade diese neuen Rechtsnormen nicht übersehen werden. Ähnliches gilt ferner für Urteile des Reichsgerichts. Doch dort muss bei Einbeziehung solcher Urteile zusätzlich beachtet werden, dass am 1.06.1943 das Gesetz zum Nötigungs- und Erpressungstatbestand abgeändert wurde. (RGBl I 342, 342)
Verweise auf Urteile vor 1983 zum Erpressungs- und Nötigungstatbestand - sind deshalb besonders in Fällen der so genannten "Chantage" - bei Prüfung der "Verwerflichkeit" - sehr vorsichtig vorzunehmen.
Nicht jede Drohung mit der Veröffentlichung kompromittierender Mitteilungen kann daher pauschal als verwerflich angesehen werden.
Es kommt auf den Horizont des Opfers an. So reicht es nicht mehr, wenn sich das Opfer bei der "Begutachtung als Durchschnittsmensch" nur erpresst fühlte.
Deshalb ist in solchen Fällen der so genannten "Chantage" stets das Opfer in Bedeutung, Beruf und Funktion zu untersuchen(=Opfer in seiner Lage), sowie das Interesse einer allgemeinen Aufklärung und die Bedeutung des genutzten Nötigungsmittels der kompromittierenden Mitteilung für Öffentlichkeit und/oder Opfer festzustellen und abzuwägen. Erst dann ist über das Vorliegen einer "Verwerflichkeit der Drohung" zu urteilen.
In vielen Fällen kann daher nicht [mehr] von einer Erpressung oder Nötigung ausgegangen werden, wenn das Opfer einer solchen Drohung standhalten muss, bzw. dem Opfer ein solches Standhalten (=besonnene Selbstbehauptung) zuzumuten ist.
Der Ausuferung der Erpressungs- und Nötigungstatbestände ist bei besonderen Tatbeständen in Verbindung mit der "Chantage" durch den BGH damit Einhalt geboten worden.
Die Rechtssprechung ist bestätigt.
Siehe auch: ErpressungBeispiele