Brüdergemeinde
Die Brüdergemeinden (auch Darbyisten oder Brüderbewegung genannt) gehören zu den christlichen Freikirchen. Viele Brüdergemeinden gehören keinem übergeordneten Verbund an. Einige haben sich 1942 mit den deutschen Baptisten zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden zusammen geschlossen. Jede einzelne örtliche Brüdergemeinde ist unabhängig in Lehre und gemeindlichem Leben. Im englischen Sprachraum werden sie als Brethren bezeichnet.Die Brüdergemeinden sind nicht zu verwechseln mit der von Nikolaus Graf von Zinzendorf gegründeten Herrnhuter Brüdergemeine, denen auch die beiden württembergischen Brüdergemeinden, Korntal und Wilhelmsdorf (Württemberg) zuzurechnen sind. Sie stehen jedoch gleichzeitig in einem engen Zusammenhang mit dem württembergischen Pietismus.
Geschichte
Irland und England
Keimzelle der Brüderbewegung war ein kleiner independenter Kreis in Dublin, Irland, der sich seit 1827 regelmäßig zur Bibelbetrachtung versammelte. Kurze Zeit später feierte man in diesem Kreis sonntäglich das Abendmahl. Innerhalb weniger Jahre entstanden auch in England ähnliche Kreise, zu denen der ehemalige anglikanische Pfarrer John Nelson Darby Kontakt fand. Im Laufe der Zeit wurde er der informelle Führer der konservativeren Richtung dieser Brüderbewegung. Die andere Gruppe, die so genannten "Offenen Brüder", standen unter dem Einluss des Deutschen Georg Müller aus Bristol, England. Während Darby die "Philadelphia-Gemeinde" jenseits aller christlichen Denominationen um den einen Tisch sammeln wollte, legten Georg Müller und seine "Offenen Brüder" Wert auf Begegnung und Zusammenarbeit mit aktiven Christen aus anderen Konfessionen. Zum endgültigen Bruch der beiden Gruppierungen kam es in den Jahren 1848 und 1849.
Deutschland
Beide Brüdergruppen fanden den Weg nach Deutschland. Darby fand Kontakt zu dem Elberfelder Pädagogen Carl Brockhaus, über den er Zugang zu vielen suchenden christlichen Kreisen erhielt. Später gab er mit ihm die Elberfelder Bibel heraus, eine wortgetreue Übersetzung der Heiligen Schrift. Die "Offenen Brüder" standen in Beziehung zu dem Evangelisten Friedrich Wilhelm Baedeker. Bei seinen zahlreichen Missionsreisen, die ihn bis zur russischen Strafkolonie Sachalin führten, wurde er zum entscheidenden Gemeindegründer der Brüderbewegung in West- und Osteuropa. Die "Offenen Brüder" suchten auch in Deutschland die Begegnung und Zusammenarbeit mit anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Sie nahmen an Veranstaltungen der Evangelischen Allianz teil, waren engagiert im "Verband gläubiger Offiziere" und waren Mitbegründer der Allianz-Bibelschule Berlin, der heutigen Bibelschule Wiedenest.
Weitere Entwicklungen
Die Geschichte der Brüdergemeinden ist auch eine Geschichte der Spaltungen und Zusammenschlüsse. Kurz vor und nach dem Tode Darbys trennten sich führende Männer der Brüderbewegung (unter anderem Kelly, Raven, Stoney, Stuart, Taylor) von den Darbysten und gründeten eigene Gemeinden, die zum Teil heute noch bestehen (zum Beispiel die so genannten ("Ravenschen Brüder").
Am 14. Juli 1937 wurden die Brüdergemeinden von den Nationalsozialisten verboten. Der Grund dafür war die Organisationslosigkeit und Autonomie der einzelnen Gemeinden. Ende 1937 trafen sich - mit Erlaubnis der Behörden - rund 1000 Brüder aus den exklusiven und offenen Brüdergemeinden, um den "Bund freikirchlicher Christen" (BfC) zu gründen. 1942 vereinigten sich diese Vereinigung mit dem Bund der Baptisten zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland. Allerdings hatten längst nicht alle Brüdergemeinden diesen Zusammenschluss vollzogen. Viele - vor allem die "Exklusiven Brüder" - arbeiteten während der NS-Zeit im Untergrund. Andere waren für die Zeit der Diktatur formelle Mitglieder, traten jedoch nach 1945 wieder aus dem Bund aus und bilden heute den "Freien Brüderkreis".
Da im Bereich der Vermögens- und Immobilienverwaltung ein gewisses Maß an Organisation von staatlicher Seite vorgeschrieben ist, hat man innerhalb vieler Brüdergemeinden einen kleinen Trägerverein gegründet, der die genannten Aufgaben übernimmt. Dieser Verein ist meist als gemeinnützig anerkannt und kann auch die erforderlichen Spendenquittungen ausstellen.
Die überregionale Verbindung zwischen den einzelnen Ortsgemeinden wird vor allem durch jährlich statt findende Bibelkonferenzen gefördert. Bekannte Konfrenzen sind u.a. die Berlin-Hamburger und die Köln-Elberfelder Konferenz. Im Jugendbereich erfreut sich die Wiedenester Konferenz großer Beliebtheit. Von mehreren Brüdergemeinden fest angestellte Reiseprediger tragen ebenfalls zur Vernetzung der Gemeinden bei.
Die Taufe findet in einem größeren Becken (Baptisterium) statt, in dem der Täufling ganz untergetaucht wird (entsprechend der biblischen Taufpraxis). Diese Becken befinden sich häufig im Versammlungsraum der Gemeinde; die Taufe kann aber zum Beispiel auch im Schwimmbad oder in einem offenen Gewässer vollzogen werden.
Andere Bezeichnungen für die Brüdergemeinde
Lehre und Praxis
Die Brüdergemeinden verstehen sich als "bibeltreue" christliche Gemeinden, wobei das gemeindliche Leben wie auch das Lehrverständnis mit anderen freikirchlichen Gruppierungen in weiten Teilen konform gehen. Im Folgenden sollen daher nur die wesentlichen Unterschiede dargestellt werden.Struktur
Die meisten Brüdergemeinden außerhalb des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden lehnen fest geschriebene Organisationsstrukturen ab. Die Zeit der biblischen Gemeindeämter (Hirten, Lehrer, Älteste und Diakone) ist entsprechend ihrer heilsgeschichtlichen Schau der Kirchengeschichte unwiederbringlich vorbei. Einer der Gründe: Es gibt keine Apostel mehr; nur sie konnten - so die Sicht der Brüdergemeinden - in die genannten Ämter berufen. Für die Gegenwart gilt allein das Wort Jesu: "Wo zwei oder drei sich in meinem Namen versammeln, da bin ich mitten unter ihnen." (Matthäusevangelium 18,20) Über die Fragen des Gemeindelebens wird in so genannten "Brüderversammlungen" gesprochen, zu denen alle männlichen Mitglieder der Gemeinde eingeladen sind. Bei den Beschlüssen wird Einmütigkeit angestrebt. "Bewährte" und begabte Brüder werden von der Brüderversammlung mit der Durchführung der Gesprächsergebnisse beauftragt. Taufe
Zu einem großen Teil wird in den Brüdergemeinden die Gläubigentaufe - fälschlicherweise oft als Erwachsenentaufe bezeichnet - praktiziert. Hier entscheidet sich der Einzelne bewußt für den Glauben an Jesus Christus, gibt dies der Gemeindeleitung und der Gemeinde bekannt und wird aufgrund dieser Entscheidung getauft. Eine Ausnahme bildet hier die so genannte "Englische Versammlung", die auch Säuglinge tauft, sofern sie einer Gemeindefamilie entstammen und ihre christliche Erziehung gewährleistet ist.Abendmahl
Das sonntägliche Abendmahl - die Brüdergemeinden bezeichnen es als "Brotbrechen" - bildet das geistliche Zentrum des gemeindlichen Lebens. Die Gestaltung der Feier unterliegt keiner festgeschriebenen Liturgie, hat jedoch oft folgende Elemente: Die Gemeinde versammelt sich in aller Stille um den Abendmahlstisch, auf welchem sich Brot und Wein befinden. Die beiden Substanzen des Abendmahls - Brot und Wein - werden als "Zeichen der Liebe Gottes" verstanden.
Nicht Menschen, sondern der Heilige Geist soll die Feier gestalten. Er bewegt nach Auffassung der Brüdergemeinde verschiedene Männer der Gemeinde, zur Gestaltung der Feier beizutragen. So werden in nicht festgelegter Reihenfolge Bibeltexte gelesen, kurze Ansprachen gehalten, über Erfahrungen mit Gott berichtet, freie Gebete gesprochen und gemeinsam zu singende Lieder vorgeschlagen. Auffällig ist allerdings, dass in den meisten Brüdergemeinden die Frauen - abgesehen vom gemeinsamen Gesang - den Gottesdienst schweigend feiern. In vielen Brüdergemeinden sitzen die Frauen auch von den Männern getrennt. Am Abendmahl teilnehmen kann in der Regel nur, wer zum Abendmahl zugelassen wurde. Diese Zulassung setzt den persönlichen Glauben an Jesus Christus und ein seelsorgerliches Gespräch mit den Brüdern der Gemeinde voraus. Die Zulassung wird der Gemeinde bekannt gegeben. Auswärtige Abendmahlsteilnehmer haben in einigen Gemeinden ein Empfehlungsschreiben ihrer Heimatgemeinde vorzuzeigen oder zumindest glaubhaft zu versichern, dass sie dort zum Abendmahl zugelassen sind.Predigt
Die Brüdergemeinde hat keinen Pastor oder fest angestellten Prediger. Den Predigtdienst versehen männliche Mitglieder der Gemeinde, die dazu eine Begabung haben. Hin und wieder werden auch Männer auswärtiger Gemeinden als Gastprediger eingesetzt. Es kommt selten vor, dass ein und derselbe Prediger an zwei aufeinander folgenden Sonntagen den Verkündigungsdienst versieht. Man ist der Überzeugung, dem biblischen Grundsatz des "Priestertums aller Gläubigen" zu entsprechen. Außerdem - so die Brüdergemeinde - verhindert die wechselnde Predigtverantwortung die Verengung der Verkündigung auf eine einseitige Lehre.Stellung der Frau in der Gemeinde
Frauen unterliegen in der Versammlung der Brüdergemeinde dem Schweigegebot. Sie beteiligen sich traditionell nur am gemeinsamen Gesang, in einigen Gemeinden aber auch am Gebet und an der Schriftlesung. Frauen führen aber nie die Wortverkündigung (Predigt oder Bibelauslegung) durch, und sie teilen auch nicht das Herrenmahl (Abendmahl) aus.Tätigkeitsfelder (Werke) und Einrichtungen
Siehe auch:
Literatur
Weblinks