Baureihe 180
Die Baureihe 180 (bis 1991: BR 230) ist eine elektrische Zweisystemlokomotive der Deutschen Bahn AG, die im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Deutschland, Polen und Tschechien eingesetzt wird.
Geschichte
Mitte der 1970er Jahre ließ die Deutsche Reichsbahn der DDR die traditionell stark belastete Elbtalstrecke von Dresden über Schöna und Decin in die Tschechoslowakei zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit mit dem in Deutschland üblichen Stromsystem von 15 kV, 16,7 Hz elektrifizieren. Die Tschechoslowakischen Staatsbahnen (CSD) elektrifizierten ihren Streckenteil mit dem auf den nördlichen CSD-Strecken üblichen Gleichstromsystem von 3 kV. Die fahrdrahtlose Lücke zwischen Schöna und Decin musste daher weiter mit Dieselloks überbrückt werden, was jedoch auf Grund der weiter steigenden Bedeutung der Strecke kein Dauerzustand bleiben konnte. Die ökonomisch sinnvollste Lösung bestand in der gemeinsamen Beschaffung einer elektrischen Zweisystemlokomotive durch beide Bahnverwaltungen, die unter beiden Stromsystemen fahren konnte. Als Hersteller kamen auf deutscher Seite nur LEW Henningsdorf und auf tschechischer Seite Skoda in Plzen in Frage. Da LEW Henningsdorf zum damaligen Zeitpunkt voll mit der Lieferung von Lokomotiven der Baureihe 243 und Exportaufträgen ausgelastet war, ging der Auftrag für die Zweisystemlok Baureihe 230 an Skoda. Wichtige Komponenten des Wechselstromteils der Fahrzeuge sollten jedoch aus der DDR zugeliefert werden, da Skoda kaum Erfahrung mit dem 15 kV-System hatte. 1988 wurde dann je ein Prototyp an beide Bahnen ausgeliefert, die 230 001 für die DR und die 372 001 für die CSD. Im Anschluss an das ausgiebige Erprobungsprogramm erfolgte dann ab 1991 die Lieferung von 19 weiteren Lokomotiven an die DR und 14 Stück an die CSD. Neben der von Anfang an vorgesehenen Strecke Dresden-Prag wurden die deutschen Loks ab 1992 auch zwischen Berlin und Rzepin in Polen eingesetzt. Zwischen Deutschland und Tschechien übernahmen die Loks nicht nur die hochwertigen Fernzüge, sondern vor allem den Güterverkehr, speziell die Rollende Landstraße. Die Loks der beiden Bahngesellschaften werden so eingesetzt, dass die Kilometerleistung in etwa gleich ist und keine Ausgleichszahlungen erforderlich sind. Zu Abrechnungszwecken werden die CSD-372er bei der DB intern als BR 100 geführt (elektrische Lokomotiven fremder Bahngesellschaften).
Durch den Ausbau der Strecke Dresden-Berlin für bis zu 160 km/h wurde die BR 180 mit ihrer vmax von 120 km/h dort zu einem Verkehrshindernis. Außerdem stand der Ausbau der Stammstrecke Dresden-Prag für ebenfalls 160 km/h an. Beide Bahnverwaltungen experimentierten daher mit ihren 180ern bzw. 372ern bezüglich einer Geschwindigkeitssteigerung. Hierbei kam der Umstand entgegen, dass die verwendeten Skoda-Drehgestelle zumindest auf dem Papier bis zu 200 km/h laufen durften, allerdings hatte dies nie jemand mit einer realen Lok getestet. Die CSD bauten daher 3 Lokomotiven für 160 km/h um und gaben ihnen die neue Baureihennummer 371, während die DB die nur die 180 001 umrüsten ließ. Die Tests mit den umgebauten Lokomotiven verliefen aber nicht so, wie man sich es vorgestellt hatte: Bei den tschechischen Loks brachen wiederholt die Schleifstücke der Stromabnehmer, wodurch jedesmal großer Schaden angerichtet wurde, da der gebrochene Stromabnehmer die Fahrleitung herunter riß. Auf der 180 001 ging während der 160 km/h-Erprobung eine Frontscheibe zu Bruch, so dass es zu der kuriosen Anordnung kam, dass die neue Höchstgeschwindigkeit nur für einen Führerstand galt. Ein Umbau von weiteren Loks unterblieb daher. Die BR 180 gehört inzwischen buchmäßig zum Geschäftsbereich Cargo, der die Lokomotiven gegen Zahlung entsprechender Nutzungstarife vor Fernzügen der DB Reise & Touristik; einsetzt. DB Cargo wird in der nächsten Zeit umfangreiche Bestände von neuen Mehrsystemlokomotiven der Baureihen 185 und 189 in Betrieb nehmen, so dass auf die "Splitterbaureihe" 180 verzichtet werden kann. Als erste wurde im Oktober 2002 die 160-km/h-Lok 180 001 von einer notwendigen Hauptuntersuchung zurückgestellt. Nach kaum 15 Jahren neigt sich der Einsatz der Zweisystemloks tschechischer Bauart seinem Ende entgegen.
Wie bei Mehrsystemlokomotiven üblich, ist die Baureihe 180 technisch als Gleichstromlokomotive ausgelegt; bei Fahrten unter Gleichstrom braucht sie keinen Transformator und keine nachgeschalteten Gleichrichter, stattdessen werden die Fahrmotoren mit Hilfe von Vorwiderständen, Reihen-/Parallelschaltung und Feldschwächung in Leistung und Drehzahl geregelt. Durch Kombination der genannten Regelelemente ergeben sich 44 Fahrstufen und 10 Feldschwächungsstufen. Wenn in der Fahrleitung Wechselstrom anliegt, wird der Strom zunächst im unterflur liegenden Haupttransformator auf 3.000 V heruntertransformiert und anschließend mit Hilfe von Brückengleichrichtern und Glättungsdrosseln gleichgerichtet. Die Umschaltung zwischen AC- und DC-System erfolgt automatisch. Die Lokomotiven besitzen je einen Gleichstrom- und einen Wechselstrom-Hauptschalter, die beide so gebaut sind, dass jeweils nur der "richtige" eingeschaltet ist. Bei der Systemumstellung wird außerdem die Anpreßkraft der Stromabnehmer automatisch neu justiert; im Gleichstrombetrieb muß sie höher sein als unter Wechselstrom. Die Einholm-Stromabnehmer entstammen einer Skoda-Standardbauart und besitzen je vier Kohleschleifstücke.
Die Lokomotiven verfügen über eine elektrische Widerstandsbremse, die auch fahrleitungsunabhängig funktioniert (allerdings nur einmal, da die Motoren auf Grund der verwendeten Fremdbelüftung bei einer zweiten Bremsung durchschmelzen würden).
Alle 180er und 372er besitzen die fahrzeugseitigen Einrichtungen für die punktförmige Zugbeeinflussung in beiden Länden. In Deutschland ist dies die PZ80R, in Tschechien ein System mit dem Namen VZ. Dazu kommen noch eine Sicherheitsfahrschaltung und Zugfunk-Geräte. Die sonstige Ausrüstung der Loks liegt im Verantwortungsbereich der jeweiligen Bahngesellschaft.
Konstruktion
Der Fahrzeugteil der Lokomotiven entstammt einem Baukastensystem von Elektrolokomotiven, die Skoda bereits seit 20 Jahren baute. Neben der typischen Kastenform erklären sich so auch die ansonsten in Deutschland unüblichen Speichenräder. Sie werden lediglich einseitig mit Klotzbremsen abgebremst und werden über zweistufig mit Schraubenfedern und hydraulischen Dämpfern gefederte Zylinder-Rollenlager im Drehgestell geführt. Die Übertragung der Zug- und Bremskräfte erfolgt über tiefangelenkte Drehzapfen.Technische Daten
Siehe auch: Liste der Baureihen