Art Brut
Art Brut ist eine Bezeichnung für Kunst von Autodidakten, die außerhalb des Kunst-/Kulturbetriebs stehen: zumeist Geisteskranke, Außenseiter, medial begabte Zeichner, Häftlinge oder einfach gesellschaftlich Unangepaßte. Die deutsche Bedeutung des französischen Begriffes lautet in etwa "rohe, unverfälschte Kunst". Den Begriff prägte 1945 der französische Maler Jean Dubuffet. Da Art brut in engem Zusammenhang zu Dubuffets kunsttheoretischen Anschauungen steht und stilistische Ähnlichkeiten unübersehbar sind, wird er oft fälschlicherweise mit seiner eigenen Kunst identifiziert.
1947 gründete Dubuffet mit einem Kreis von Gleichgesinnten (u.a. André Breton) in Paris die "Compagnie de l'Art brut", mit dem Ziel, solche Bildwerke zusammenzutragen. In der Pariser Galerie Drouin kam es zu Einzelausstellungen mit Werken u.a. von Adolf Wölfli und Aloise Corbasz; 1949 wurden dort 200 Werke von 63 Urhebern unter dem Titel "Art brut préferé aux arts culturels" (Vorzüge gegenüber der kulturellen Kunst) präsentiert. In seinem Katalogtext definierte er Art brut als subversive, alternative Kunstform abseits der erstickenden "kulturellen Künste". In diesem Manifest betonte er auch, daß Art brut jenseits kultureller Normen nicht automatisch identisch mit psychopathologischen Schöpfungen ist: "Wir sind der Ansicht, daß die Wirkung der Kunst in allen Fällen die gleiche ist, und daß es ebensowenig eine Kunst der Geisteskranken gibt wie eine Kunst der Magenkranken oder der Kniekranken."
In den folgenden Jahrzehnten stieg die Anzahl der Werke beträchtlich an. 1971 schenkte er seine mittlerweile auf 15.000 Objekte angewachsene Sammlung der Stadt Lausanne, wo sie seit 1976 in einem öffentlichen Museum, der "Collection de l'art brut", ausgestellt wird. Art brut wurde von Dubuffet und den Kuratoren in Lausanne (Michel Thévoz und Lucienne Peiry) ausschließlich auf Bildwerke der Kollektion angewendet und steht damit in Konkurrenz zu anderen Bezeichnungen für unakademische Bildphänomene: Outsider Art (Roger Cardinal), Bildnerei der Geisteskranken (Hans Prinzhorn), zustandsgebundene Kunst, Visionary Art sowie Naive Kunst. Trotz seiner Offenheit und Unschärfe hat sich Art brut als Begriff international durchgesetzt und wesentlich zur Anerkennung marginalisierrer Kunstformen beigetragen. Mittlerweile hat sich ein eigenes Segment des Kunsthandels mit internationalen Messen sowie die Zeitschrift "Raw Vision" auf Art brut spezialisiert. Einher mit diesem kulturellen Prozeß ging in den letzten Jahrzehnten die intensive und erfolgreiche Förderung von künstlerischem Arbeiten zu therapeutischen Zwecken - etwa durch den Psychiater Leo Navratil im Künstlerhaus Gugging bei Wien.
Wichtige Vertreter der Art brut sind: Aloise Corbasz, Johann Hauser, Augustin Lesage, Heinrich Anton Müller, August Natterer, Friedrich Schröder-Sonnenstern, Louis Soutter, August Walla, Adolf Wölfli
Deutsche Literatur
ISBN 3-906127-24-9
ISBN 0-289-70168-6
ISBN 3-7701-1307-1
Köln 1989
ISBN 3-85502-386-7
ISBN 3-931743-28-4
Klaus Albrecht Schröder, Köln: Dumont, 1997, S. 371-382
Michel Thévoz, "L'Art brut. Vom Untergrund zur öffentlichen Anerkennung", in: ebenda., S. 383-388
ISBN 3-7701-4273-X
ISBN 3-7701-4274-8
ISBN 3-88423-160-X
Osnabrück: Der andere Verlag, 2004
ISBN 3-89959-168-2
Weblinks