Aramäer
Aramäer - bis zum Mittelalter
Um die Zeit Christi Geburt sprachen alle Bewohner der Semitischen Kulturländer von Palästina im weiten Bogen nach Norden über Syrien und Nordmesopotamien bis nach Assyrien und Babylonien eine und dieselbe Sprache, das Aramäische, und bilden, sofern die Sprache ein Kriterium nationaler Zusammengehörigkeit ist, eine nationale Einheit, die Nation der Aramäer. Dieser einheimische Name machte später, hauptsächlich in Folge jüdisch-christlicher Literatureinflüsse, der Griechischen Bezeichnung Syrer Platz.
Die Aramäische Sprache spielte schon viele Jahrhunderte früher unter Assyrischer Herrschaft eine bedeutsame, wenn auch im Einzelnen noch nicht genau übersehbare Rolle, trat aber nach dem Ende des Assyrischen und des Babylonischen Reiches mehr und mehr in den Vordergrund. Mit einem kräftigen Expansionstrieb begabt, verdrängte sie Idiome anderen Stammes und behauptete sich im Gebrauche der Millionen auch unter Persischer, Griechischer, Parthischer, Römischer und Neupersischer Herrschaft. Im Allgemeinen haben die Sprachen dieser fremden Herrscher und ihrer Regierungen das Aramäische nicht mehr beeinflusst als etwa heutigen Tages die Sprache der Türkischen Herrscher das Arabische in denselben Ländern, ausgenommen das Griechische, das sich in den Städten des Syrischen Küstenländer festsetzte und durch seine Literatur einen tiefgreifenden Einfluss ausübte. Unter den, wie es scheint, unwiderstehlichen Einfluss des Aramäischen gaben die Israeliten ihre nationale Sprache und Schrift preis, und Christus und seine Zeitgenossen sprachen Aramäisch. Der mehr als tausendjährigen Vorrangstellung des Aramäischen wurde erst durch das Arabische des Islams ein Ende bereitet.
Die Aramäer sind die Träger des Christentums im Orient. Als die ersten Christen, aus Jerusalem verdrängt, in Antiochien am Orontes eine neue Heimat gewonnen hatten (Apostelgeschichte XI, 19 ff.) und von dort aus ihre Missionsreisen unternahmen, scheint der Aramäische Osten nicht minder für die Aufnahme der neuen Religion reif gewesen zu sein als der Griechische und Römische Westen, und jedenfalls war es ein Vorteil für die neue Lehre, dass sie in einer und derselben Sprache von Antiochien bis nach Babylonien und Elam gepredigt werden konnte. Wir kennen die einzelnen Etappen der Ausbreitung gegen Westen, entbehren aber gänzlich gleichzeitiger Nachrichten über den Weg, den das Evangelium in seiner Verbreitung nach Osten eingeschlagen hat. Auf Grund der Nachrichten einer späteren Zeit müssen wir annehmen, dass das Christentum, den großen Landstraßen folgend, frühzeitig die Hauptstadt Nordmesopotamiens, Edessa, erreichte und dass diese Stadt nach Antiochien zu einem neuen Zentrum der Mission wurde, dass die Sendboten von dort dem Tigris zustrebten und, die von ihm getränkten Kulturländer durchziehend, bis nach Babylonien und Elam, Ktesiphon und Susa vordrangen.
Eine Sprache, eine Religion, aber niemals ein Staat! Es ist den Aramäern als syro-mesopotamisches Volk gelungen ihr nationales Wesen in mehren Staatswesen in den verschiedenen mesopotamischen Reichen und verschiedenen Epochen, Staatswesen unter einem einheimischen Fürstenhause und Könige entwickeln und zum Ausdruck bringen zu können. In der Nachchristlichen Zeit konnten sich die Mesopotamier auch die aramäische Stämme im Norden des syro-mesopotamischen Raumes durch ein unabhängiges Fürstentum Edessa selbstbehaupten. Unter den Abgar-Fürsten konnte die Syrische Kultur und Sprache für kurze Zeit selbstständig aufblühen. Nach dem Frieden zwischen den Persern und Kaiser Jovian vom Jahre 363 war auf der Straße von Amid nach Nisibis unfern der letzteren Stadt ein Kastell, von dem gegenwärtigen noch mächtige Quadern Zeugnis geben, die Grenze zwischen den beiden Reichen, welche die syrischen Christen unter einem christlichen Römischen Kaiser von ihren Nations- und Glaubensgenossen unter dem feueranbetenden Perserkönige trennte. Ähnlich gehören gegenwärtig von den Resten der Mesopotamier im Zagros diejenigen auf der Ostseite zum Persischen, diejenigen auf der Westseite zum Türkischen Reiche.